Das Geiseldrama
haben ihn kurz gehalten. Für die gehörte er nicht zum
harten Kern. Die Schlupfwinkel, die er genannt hat, wurden überprüft. Daß die
Terroristen dort nochmal auftauchen, ist nicht anzunehmen.“
„Und nun?“
„Man muß die Drohung der
Terroristin ernst nehmen“, setzte Karl den Bericht fort. „In den
Abendnachrichten von Funk und Fernsehen wird deshalb mitgeteilt, daß sich
Lotzka jetzt tatsächlich in Polizeigewahrsam befindet. Ihr Mann, Frau Glockner,
und der Rest der Mannschaft hoffen, daß sich die Oliviri nochmal meldet und zu
Verhandlungen bereit ist, bevor der sogenannte vernichtende Schlag erfolgt.
Vielleicht verzichtet die Brigade Staatsfeind dann auf Freilassung ihres Chefs.
Wer im Untergrund lebt und ständig auf dem Sprung ist, kann doch unmöglich
einen Schwerkranken versorgen, der noch wochenlang ärztliche Betreuung braucht,
sonst er den Löffel wegschmeißt... äh... ich meine: sonst er zu seinen
staatsfeindlichen Vätern versammelt wird. Dort!“ Er deutete mit dem Daumen nach
oben.
„Dort ist der Himmel“, sagte
Klößchen. „Lotzka käme aber in die Hölle.“ Und Klößchens Daumen wies abwärts.
Margot Glockner lächelte.
„Jedenfalls“, sagte Tarzan,
„herrscht höchste Alarmstufe.“
„Wer weiß, wann Papi heute heim
kommt“, meinte Gaby betrübt. „Ich überlege schon, ob ich unter diesen Umständen
zu Tante Susann fahre.“
„Aber Gaby“, wandte ihre Mutter
ein, „was hat das denn damit zu tun? Gott sei Dank! gehörst du nicht zum
Einsatzkommando. Und die TKKG-Bande hat in der Sache genug geleistet. Tante
Susanne erwartet dich morgen mittag in Schloßrain. Ich weiß, ihr würdet übers
Wochenende lieber zusammen bleiben. Aber die Trennung ist ja nur bis Sonntagabend.
Das werdet ihr überstehen.“ Lächelnd kniff sie Tarzan in die Wange. „Auch wenn
ihr euch sooo selten seht.“
Alle lachten. Und Tarzan
erklärte in einem Anfall von Großmut, daß man sich familiären Verpflichtungen
nicht entziehen dürfe. Tanten seien ja auch Menschen.
„Außerdem gibt es in Schloßrain
hervorragende Schokoladentorte“ warf Klößchen ein. Zugleich warf er einen
begehrlichen Blick zur Kühltruhe, in der Fertigtorten und Eispackungen
lagerten.
Frau Glockner begriff.
„Darf ich euch“, sagte sie, „zu
einem großen Stück Schokoladentorte einladen?“
„Uns drei — gern“, Gaby küßte
ihre Mutter auf die Wange. „Willi muß leider ablehnen. Er hat keinen Appetit.“
*
Lotzkas Festnahme wurde
erstmals in den 17-Uhr-Nachrichten bekanntgegeben — und dann stündlich
wiederholt. Aber Francesca Oliviri meldete sich nicht mehr. Das hatte seinen
Grund.
Die Terroristen bereiteten ihre
Aktion vor: die Besetzung der Internatsschule, die Geiselnahme, den
vernichtenden Schlag — wie es in ihrem Sprachgebrauch hieß. Keiner von ihnen
hörte in der zweiten Tageshälfte Nachrichten. Jeder hatte genug am Hals. Jedem
fielen Aufgaben zu, für die er sich tummeln mußte.
Martin Macke besorgte Proviant.
Er hatte sich verkleidet. Erkennen würde ihn niemand. Viel Geld stand ihm nicht
zur Verfügung — nur das, was sie sich von Jens Dikal geborgt hatten. Aber für
ein paar Tage würde die Verpflegung reichen, zumal keiner von ihnen
anspruchsvoll oder gar Feinschmecker war.
Macke kaufte Vitaminpillen,
Eiweißtabletten, Schokoladenriegel, pro Nase eine Packung Müsli, Pulverkaffee,
den man auch trocken löffeln konnte, und mehrere Stangen Zigaretten.
Schorbach und Ohnesorge
reinigten und überprüften das Waffenarsenal.
Francesca Oliviri studierte
Karten vom Gelände südlich der Stadt. Die Karte, auf der sie den
Hubschrauber-Landeplatz markiert hatten, nämlich den SCHIEFEN TURM, fand sich
allerdings nicht. Aber das beunruhigte niemanden. Francesca vermutete, sie sei
verschlampt worden, sei vielleicht im letzten Quartier zurückgeblieben. Daß
Lotzka die Karte bei sich gehabt hatte — auf die Idee kam sie nicht.
Die Karte war — nach dem Umweg
über Dikal und Görr — im Präsidium gelandet. Brav hatte der Makler sie
abgeliefert. Tat er doch jetzt alles, um sich lieb Kind zu machen. Lediglich
das Geld, das er aus Dikals Brieftasche genommen hatte, blieb unerwähnt.
Also fuhren Streifenwagen zum
SCHIEFEN TURM. Eine Hundestaffel der Schutzpolizei durchforschte das
Waldgebiet. Aber das Ergebnis war null.
Während das geschah, saßen
Schorbach und Hanna Neu in dem alten VW-Bus.
Es war jetzt kurz nach 18 Uhr.
Seit anderthalb Stunden stand
der Wagen an der Stelle, wo
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