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Das Geiseldrama

Das Geiseldrama

Titel: Das Geiseldrama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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die Zubringerstraße zum Internat in die Stadt mündete.
    Sie beobachteten. Hanna führte
eine Strichliste.
    „Sowas habe ich noch nicht
erlebt“, grunzte Schorbach. „Sind ja Massen. Eine Völkerwanderung! Da muß
irgendwo ein Nest sein. Ein Nest mit Schülern. Sind aber nur Jungs. Ist wohl
’ne Jungen-Schule, wie?“
    „Bis jetzt sind etwa 450 vorbei
gekommen. Und alle verreisen. Da wird sich die Bundesbahn freuen.“
    „Einige waren im Wagen.“
    „Das sind vermutlich die
Pauker.“
    Schorbach rückte an dem
Sommerhut, den er sich auf den eckigen Schädel gestülpt hatte. Das rohe Gesicht
verschwand zum Teil hinter der Sonnenbrille.
    „Ich will’s genau wissen“,
meinte Hanna. Sie trug eine blonde Kurzhaar-Perücke, was ihren Typ völlig
veränderte. Sie sah aus wie eine Trend-Biene (Trend = wohin die
Entwicklung führt), die jeden Schwachsinn mitmacht, sofern er nur modisch
ist.
    „Was willste wissen?“ kaute er
durch die Zähne.
    „Wie viele morgen im Internat
sind.“
    „Willste fragen?“
    „Klar.“
    „Wen?“
    „Warum nicht den Hausmeister.
Der müßte es wissen.“
    Schorbach nickte. „Dabei
beäugeln wir schon mal das Gelände. Dann sind wir morgen auf der Orientierung (sich
örtlich zurechtfinden) voll drauf. Und frag auch gleich“, er lachte, als
hätte er den Mund voller Zahnstein, „ob dieser Peter Carsten da ist. Wenn ich
mit dem Wiedersehen feiere, braucht er anschließend einen Organspender. Wegen
neuer Rippen.“
    Hanna antwortete nicht. Sie
blickte ins Abendrot, das im Westen den Himmel ganz für sich beanspruchte: von
der Horizontlinie, dem Wald, bis in die 50. Etage hinauf, also bis ins Wolkenkuckucksheim.
    „Wir fahren hin“, sagte sie.
„ich gebe mich als Interviewerin ( Befragerin ) aus. Bin vom Statistischen
Institut für Privat-, Staats- und Sonderschulen. Klar?“
    „Von mir aus. Ich bleibe
sowieso im Wagen.“
    Hanna fuhr. Nur noch wenige
begegneten ihnen auf der Zubringerstraße. Durchs Fenster wehte Abendluft
herein. Über den Feldern schwebten Lerchen, überflogen soeben eine Gruppe
straßennaher Lärchen, denen der laue Wind die grünbenadelten Zweige bewegte.
    Sie erreichten die
Internatsschule, rollten durchs Tor, kannten keine Nervosität in ihrer
Dreistigkeit und stellten den Wagen auf den Parkplatz.
    Schorbach fläzte auf dem
Beifahrersitz. Unter der Jacke spürte er das Gewicht der Pistole, die in einem
Schulterhalfter hing. Er rauchte. Es war die letzte Zigarette im Päckchen.
    Hanna stieg aus. Sie hielt eine
schmale Dokumententasche unter dem Arm. Eine Schüler, etwa 15jährig, latschte
vom Sportplatz kommend in Richtung Gelbes Haus. Alle paar Schritte ließ er den
weißledernen Fußball hüpfen.
    „Hallo“, rief Hanna, „wo finde
ich hier den Hausmeister?“
    Axel Holzweg blieb stehen. „Da
müssen Sie...“, er stockte und blickte an ihr vorbei. „Da ist ja Herr Mandl.
Dort, beim Fahrradschuppen.“
    Axel ging weiter, schoß den
Ball gegen die Hauswand, stoppte den Abpraller und dribbelte zum Eingang.
    Mandl hatte gehört, daß nach
ihm gefragt wurde, und hielt damit inne, das Schloß des Fahrradkellers
auszuwechseln. Er schob den Schraubenzieher in die Brusttasche seines
Latz-Overalls und musterte die junge Frau.
    Hanna grüßte. Freundlichkeit
lag nur in der Stimme. Das Gesicht lächelte nicht. Sie sagte, woher sie
angeblich käme, nahm Block und Bleistift aus der Mappe und benutzte diese als
Schreibunterlage.

    „Es geht um eine Statistik (zahlenmäßige
Erfassung) der Wochenend-Heimfahrt-Gewohnheiten von Internaten.
Schreckliches Wort! Können Sie mir sagen, ungefähr nur! — wie viele Schüler
diesmal hier bleiben?“
    Mandl krauste die Stirn. „Ganz
genau können Sie das im Sekretariat erfahren, mein Fräulein. Aber erst wieder
am Dienstag. Jetzt ist niemand mehr da.“
    „Ich weiß. Ich werde am
Dienstag noch nachhaken. Aber eine Statistik muß ich am Montag schon abliefern.
Mir genügt es zunächst, wenn Sie über den Daumen peilen.“
    „Na, ungefähr 30 bis 40 Schüler
bleiben hier.“
    „Überwiegend ältere, oder mehr
jüngere?“
    „Mehr jüngere.“
    „Und von wievielen Lehrkräften
werden die betreut?“
    „Das weiß ich zufällig genau.
Es bleiben nur hier: der Herr Franke, der Herr Weller und Fräulein Blank. Und
Frau Hollmeier, weil sie ja bettlägerig ist. Nichts Schlimmes, nur ein
Beinbruch. Ich“, setzte er mit stolzem Lächeln hinzu, „fahre auch weg. Gleich
morgen früh. Meine Frau packt schon die Koffer. Wir

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