Das Geiseldrama
hellblauen Jeans-Anzug, dazu die große Umhängetasche
aus Bast. Oskar wurde angeleint, denn er sollte ja mit.
„Also“, erklärte Pfote ihrer
Mutter, „erst fahre ich zur Metia-Buchhandlung und besorge das Buch für Ute
Hollmeier. Für Oskar ist es gut, daß er soviel Auslauf hat: zur Schule und
wieder zurück bis zum Busbahnhof. Dann ist er nachher nicht so vif (lebhaft). Mein Rad stelle ich bei Petra Kölle auf den Hof. Das haben wir vereinbart.“
Petra, eine Klassenkameradin,
wohnte nahe beim Busbahnhof. Und per Bus wollte Gaby mit Oskar nach Schloßrain
fahren, wo ihre Tante Susanne die beiden erwartete.
Frau Glockner umarmte ihr
Töchterchen, verkniff sich den größten Teil der Ermahnungen, die ihr auf der
Zunge lagen, trug Grüße für die Tante auf und fragte, ob sie, Gaby, auch alles
bei sich hätte.
Sie hatte nicht, hatte zwar ein
Nachthemd eingepackt, aber die Zahnbürste vergessen.
Immerhin — der Tag war noch
jung, als Gaby und Oskar loszogen. Er lief neben ihrem Rad an der Leine und
hielt die schlaue Hundenase in den Sommerwind.
Gaby besorgte das Buch. Es
landete in der Basttasche beim Nachthemd. Oskar saß vor der Buchhandlung und
beobachtete einen Bernhardiner, der von seinem Herrchen geführt wurde. Es war
wirklich ein Herrchen, nämlich höchstens 158 cm groß. Aber der Bernhardiner
benahm sich lammfromm und machte kleine Schritte.
Als Gaby schließlich über die
Zubringerstraße radelte, konnte sie Oskar frei laufen lassen. Heute fuhr hier
kein Wagen. Oskar tobte und freute sich, sprang über Gräben, jagte
Schmetterlinge, erschrak sich, als eine Feldmaus seinen Weg kreuzte, und fand
schließlich einen großen Haufen frischer Pferdeäpfel, in denen er sich wälzen
konnte.
Gaby bemerkte das zu spät.
„Und dafür habe ich dich
gebürstet“, rief sie. „Jetzt riechst du wie ein Misthaufen.“
Aber Oskar fand das völlig in
Ordnung.
Gaby radelte durchs Tor und
stellte ihr Klapprad auf den Fahrradplatz, wo gähnende Leere herrschte. Niemand
war zu sehen. Sie leinte Oskar an.
Als sie zum Pauker-Silo ging,
hörte sie den Wagen. Flüchtig sah sie sich um.
Ein klappriger VW-Bus rollte
durchs Tor, aber nicht zum Parkplatz, sondern über den Schulhof zum
Hauptgebäude. Die Vormittagssonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe. Gaby
konnte nicht in den Wagen hineinsehen. Aber es interessierte sie auch nicht,
wer da kam. Handwerker, sicherlich.
Sie trat ins Haus und ermahnte
Oskar, sich anständig zu benehmen.
„Daß du mir nicht auf ihr Bett
springst! Verstanden?“
*
Solange sie durch die Stadt
fuhren, hatten sich die Terroristen mit der üblichen Verkleidung begnügt.
Jetzt, da sie durchs Tor rollten, flogen Perücken, Sonnenbrillen und angeklebte
Bärte auf den Boden. In Sekundenschnelle streiften sie sich schwarze
Strumpfmasken über die Köpfe. Hanna, die den Wagen lenkte, schaffte das mit
einer Hand.
Die Terroristen wußten aus
Erfahrung: Der Anblick schwarzer Masken erschrickt. Der Gegner ist wie gelähmt.
Angst und Schrecken löst die Maskierung aus. Widerstand erstickt im Keim.
Deshalb benutzten sie Strumpfmasken bei Vorhaben wie diesem. Zusätzlich waren
Macke und Ohnesorge mit Maschinenpistolen bewaffnet. Schorbach und die beiden
Frauen trugen schwere Pistolen.
Der Wagen hielt. Macke und die
Oliviri sprangen heraus und stürmten ins Hauptgebäude. Schorbach und Hanna
rannten zum Pauker-Silo. Ohnesorge postierte sich hinter dem Fahrzeug. Er hielt
die MP im Anschlag. Von hier konnte er sämtliche Eingänge überblicken: die der
Nebengebäude, vom Gelben Haus, von der Turnhalle, sogar vom Fahrradkeller.
Im Hauptgebäude schrie jemand
auf. Stimmengewirr hob sich wie ein Fliegenschwarm. Das war offenbar im
Speisesaal.
„Niemand rührt sich von der
Stelle“, hörte er Mackes Stimme. „Die Schule ist besetzt, Widerstand sinnlos.
Wer sich nicht fügt, riskiert sein Leben.“
Die Tür des Hauptgebäudes
öffnete sich. Zwei Mädchen in weißen Arbeitskitteln drängten heraus. Angst
verzerrte die Gesichter der Küchenhilfen.
Ohnesorge trat ihnen entgegen.
„Zurück!“ befahl er und
unterstrich das mit einer Bewegung seiner Waffe. „Zurück zu den andern.“
Angstvoll gehorchten sie.
In diesem Moment krachte im
Pauker-Silo ein Schuß.
12. BRIGADE
STAATSFEIND schlägt zu
Gaby klopfte an Ute Hollmeiers
Tür.
„Komm nur rein — wenn du’s
bist, Gaby!“ rief die Lehrerin.
Sie saß auf der Bettkante. Zwei
Krücken, mit denen sie sich mühsam zwischen
Weitere Kostenlose Bücher