Das Geisterhaus
Delirium faselnd von
moschusduftenden Frauen und verborgenen Schätzen. Der
Kapitän, ein Engländer namens Longfellow, war schon im
Begriff, ihn in eine Fahne gewickelt über Bord zu werfen, aber
Marcos hatte auf dem Transatlantikdampfer trotz seines
verwilderten Aussehens und seiner Fieberdelirien so viele
Freunde gewonnen und so viele Frauen in sich verliebt gemacht,
daß die Passagiere es verhinderten und Longfellow ihn in der
Speisekammer neben dem Gemüse des chinesischen Kochs
lagern mußte, um ihn vor der tropischen Hitze und den Moskitos
zu schützen, bis der Schiffsschreiner einen Behelfssarg
gezimmert hatte. Im Hafen El Callao konnten sie einen richtigen
Sarg kaufen, und ein paar Tage später lud ihn der Kapitän
kurzerhand auf der Mole ab, wütend über die Umstände, die der
Passagier der Schiffsgesellscha ft und ihm persönlich gemacht
hatte, und erstaunt, daß niemand kam, um nach ihm zu fragen
und die zusätzlichen Kosten zu begleichen. Später erfuhr er, daß
die Post in diesen Breiten nicht mit der gleichen Zuverlässigkeit
wie in seinem fernen England funktionierte und seine
Telegramme sich unterwegs verflüchtigt hatten. Zu seinem
Glück erschien ein Rechtsanwalt vom Zoll, der die Familie del
Valle kannte und sich erbot, die Sache in die Hand zu nehmen.
Er lud Marcos und sein vieles Gepäck auf einen gemieteten
Wagen und brachte ihn in die Hauptstadt, an den einzigen festen
Wohnsitz, der sich ermitteln ließ: das Haus seiner Schwester.
Für Clara wäre dies einer der schmerzlichsten Augenblicke in
ihrem Leben gewesen, wäre nicht Barrabas unter dem vielen
Kram ihres Onkels mitgekommen. Ohne den im Hof
herrschenden Trubel zu beachten, führte ihr Instinkt sie direkt in
die Ecke, in der jemand den Käfig abgestellt hatte. Drinnen war
Barrabas, ein Häuflein Knochen unter einem Fell von
undefinierbarer Farbe und voll eiternder Kahlstellen, ein Auge
geschlossen, das andere triefend von Augenbutter. Regungslos
wie ein Kadaver lag er in seinem Unrat. Trotz seines kläglichen
Äußeren identifizierte ihn das kleine Mädchen mühelos.
»Ein Hündchen«, schrie sie.
Sie übernahm das Tier. Sie hob es aus dem Käfig, sie wiegte
es an ihrer Brust, mit der Umsicht einer Missionsschwester
gelang es ihr, Wasser in die geschwollene, ausgetrocknete
Schnauze zu träufeln. Niemand hatte es gefüttert, seit Kapitän
Longfellow, der wie alle Engländer Tiere sehr viel besser
behandelte als Menschen, es mitsamt dem Gepäck auf der Mole
abgestellt hatte. Solange der Hund neben seinem todkranken
Herrn an Bord gewesen war, hatte der Kapitän alle Sorgfalt, die
er Marcos vorenthielt, auf ihn verwandt, ihn eigenhä ndig
gefüttert und auf Decke spazierengeführt, aber sobald er an
Land war, wurde er nur noch als Teil des Gepäcks betrachtet.
Clara wurde dem Tier eine Mutter, ohne daß ihr jemand dieses
zweifelhafte Privileg streitig gemacht hätte, und es gelang ihr, es
ins Leben zurückzuholen. Ein paar Monate später, als sich der
Wirbel um die Ankunft der Leiche und die Beerdigung von
Onkel Marcos gelegt hatte, fiel Severo eines Tages das haarige
Vieh auf, das seine Tochter auf den Armen trug.
»Was ist das?« fragte er.
»Barrabas«, sagte Clara.
»Bring ihn dem Gärtner, damit er ihn wegschafft. Er kann
eine Krankheit auf uns übertragen«, befahl er.
Aber Clara hatte ihn adoptiert.
»Er gehört mir, Papa. Wenn Sie ihn mir wegnehmen, höre ich
auf zu atmen und sterbe, das schwöre ich.«
Er blieb im Haus. Bald lief er überall herum, fraß
Vorhangfransen, Teppiche, Möbelbeine an. Er erholte sich
ungemein schnell von seiner Agonie und fing zu wachsen an.
Als er gebadet wurde, stellte sich heraus, daß er schwarz war,
einen quadratischen Schädel, sehr lange Beine und kurzes Haar
hatte. Die Nana schlug vor, man solle ihm den Schwanz
coupieren, damit er wie ein Rassehund aussähe, aber Clara
bekam einen Wutanfall, der in Asthma ausartete, und die
Angelegenheit wurde nicht mehr erwähnt.
Barrabas behielt
seinen Schwanz ungekürzt, und dieser Schwanz wurde mit der
Zeit lang wie ein Golfschläger, der mit unkontrollierbaren
Bewegungen das Porzellan von den Tischen wedelte und
Stehlampen umwarf. Barrabas war von unbekannter Rasse. Er
hatte nichts gemein mit den Straßenkötern, noch weniger mit
den reinrassigen Geschöpfen, die von einigen aristokratischen
Familien aufgezogen wurden. Der Tierarzt wußte seinen
Ursprung nicht anzugeben, und Clara vermutete, daß er aus
China stammte, da
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