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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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leere Bauer des Kanarienvogels,
der Korb mit den nicht fertig gestrickten Wollsachen, ihre
magischen Karten, der dreibeinige Tisch und die Stöße von
Heften, in die sie fünfzig Jahre lang ihr Leben notiert hatte und
die ich viele Jahre später in der Einsamkeit des leeren Hauses
und der Stille der Toten und Verschwundenen andächtig las und
ordnete, um diese Geschichte zu rekonstruieren.
    Jaime und Nicolas verloren das letzte ihnen verbliebene
Interesse an der Familie und hatten kein Mitleid mit ihrem
Vater, der in seiner Einsamkeit vergebens eine Freundschaft mit
ihnen aufzubauen suchte, um die Leere zu füllen, die ein Leben
voll mißglückter Beziehungen in ihm hinterlassen hatte. Sie
wohnten im Haus, weil sie keinen geeigneten Platz zum Essen
und Schlafen hatten, aber sie kamen und gingen wie fühllose
Schatten und blieben nicht stehen, um den Niedergang zu
konstatieren. Jaime oblag seinem Beruf mit dem Eifer eines
Apostels, und mit der gleichen Beharrlichkeit, mit der sein Vater
die Drei Marien der Verwahrlosung entrissen und ein Vermögen
angehäuft hatte, verausgabte er sich bei der Arbeit im
Krankenhaus und in seinen freien Stunden bei der kostenlosen
Behandlung Armer. »Sie sind ein hoffnungsloser Verlierer,
Jaime«, seufzte Trueba. »Sie haben keinerlei Realitätssinn. Sie
haben einfach noch nicht gemerkt, wie die Welt ist. Sie setzen
auf utopische Werte, die es nicht gibt.«
»Dem Nächsten zu helfen ist ein Wert, den es gibt, Vater.«
»Nein. Nächstenliebe ist, wie euer Sozialismus, eine
Erfindung der Schwachen, um die Starken zu brechen und
auszunützen.«
     
»Ich glaube nicht an Ihre Theorie mit den Schwachen und den
Starken«, erwiderte Jaime.
     
»So ist es in der Natur immer. Wir leben in einem
    Dschungel.«
»Ja, aber nur, weil Leute, die so wie Sie denken, die Regeln
aufstellen, und das wird nicht immer so bleiben.«
»Es wird so bleiben, weil wir die Sieger sind. Wir haben das
Zeug dazu, uns in der Welt zu entfalten und die Macht
auszuüben. Hören Sie auf mich, Jaime, nehmen Sie Vernunft an
und richten Sie sich eine Privatklinik ein, ich helfe Ihnen dabei.
Aber hören Sie auf mit Ihren sozialistischen Wahnideen!«
predigte Esteban Trueba erfolglos.
Nicolas schien sich emotional stabilisiert zu haben, nachdem
Amanda aus seinem Leben verschwunden war. Aus den
Erfahrungen, die er in Indien gemacht hatte, blieb ihm die
Vorliebe für spirituelle Unternehmungen. Die phantastischen
kommerziellen Abenteuer, die ihn in seinen frühen Jugendjahren
umgetrieben hatten, gab er auf, er nahm Abstand von seinem
Wunsch, alle Frauen zu besitzen, die ihm über den Weg liefen,
und stürzte sich ganz in das ihm seit jeher eigene Verlangen, auf
unkonventionellen Wegen Gott zu finden. Der Charme, den er
früher aufgeboten hatte, um Schü lerinnen für den
Flamencounterricht zu bekommen, verhalf ihm nun dazu, eine
wachsende Schar von Anhängern um sich zu versammeln. Es
waren in der Mehrzahl wohlstandsmüde junge Leute, die wie er
auf der Suche nach einer Philosophie waren, mit der sie leben
konnten, ohne an den irdischen Scheingefechten teilzunehmen.
Eine Gruppe entstand, die bereit war, ihrerseits die
tausendjährigen Erkenntnisse aufzunehmen, die
Nicolas im
Orient erlangt hatte. Sie trafen sich in den rückwärtigen
Zimmern des Hauses, wo
Alba Nüsse an sie verteilte und
Kräutertee für sie aufgoß, während sie mit gekreuzten Beinen
dasaßen und meditierten. Als Esteban Trueba merkte, daß hinter
seinem Rücken Zeitgenossen und Träger seines Namens in
seinem Haus herumliefen, die durch den Nabel atmeten und sich
bei der geringsten Aufforderung die Kleider auszogen, verlor er
die Geduld und warf sie, mit seinem Stock und mit der Polizei
drohend, hinaus. Da begriff Nicolas, daß er künftig die Wahrheit
nicht mehr ohne Geld würde lehren können, und begann,
bescheidene Honorare für seinen Unterricht zu kassieren. Damit
konnte er ein Haus mieten, in welchem er seine Akademie für
Erleuchtete aufzog. Aufgrund behördlicher Vorschriften und der
Notwendigkeit, die Akademie unter einem Namen einzutragen,
nannte er sie Instituto de Union con la Nada, IDUN. Aber sein
Vater war nicht bereit, ihn und sein Institut zur Vereinigung mit
dem Nichts in Ruhe zu lassen, denn bald erschienen Nicolas’
Gefolgsleute, mit kahlrasierten Köpfen, unanständigen
Lendenschurzen und glückseligen Mienen aufgenommen, in den
Zeitungen und gaben den Namen Trueba der Lächerlichkeit
preis. Sobald

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