Das Geisterhaus
Farben der Wüste, den
Blautönen, dem Violett, dem Gelb, den offen zutage liegenden
Erzen.
»Mein Leben ändert sich«, murmelte er.
Er schloß die Augen und schlief ein.
An der Haltestelle San Lucas stieg er aus. Es war ein elender
Ort. Keine Menschenseele war zu dieser Stunde auf dem
Bretterbahnsteig unter dem verwitterten, von Ameisen
zerfressenen Dach zu sehen. Aber von hier aus konnte man
durch den feinen Dunst, der nach dem nächtlichen Regen aus
der feuchten Erde aufstieg, das ganze Tal überblicken. Die
fernen Berge verloren sich in den Wolken eines verha ngenen
Himmels, nur die beschneite Spitze des Vulkans war deutlich
sichtbar gegen die Landschaft abgehoben und von einer
schwachen Wintersonne beschienen. Er sah sich um. In der
einzigen glücklichen Zeit seiner Kindheit, an die er sich erinnern
konnte, ehe sein Vater gänzlich verkam und sich dem Likör und
seiner Scham überließ, war er mit ihm durch diese Gegend
geritten. Er erinnerte sich, daß er in den Sommern auf den Drei
Marien gespielt hatte, aber das lag so weit zurück, daß es in
seinem Gedächtnis verschwamm und er den Ort nicht
wiedererkennen konnte. Er suchte das Dorf San Lucas mit dem
Blick, sah aber nur, ziemlich fern, einen in der
Morgenfeuchtigkeit verwaschenen Weiler. Er ging durch den
Bahnhof. An der Tür zu dem einzigen Dienstraum hing ein
Schloß. Daneben war ein Zettel angebracht, mit Bleistift
beschrieben, aber die Schrift war so verwischt, daß er sie nicht
entziffern konnte. Hinter sich hörte er den Zug abfahren. Er war
allein in dieser stillen Landschaft. Er nahm seine Koffer und
begann den schmutzigen und steinigen Weg zum Dorf zu gehen.
Er ging zehn Minuten, froh, daß es nicht regnete, da er mit den
schweren Koffern nur mühsam vorankam und wußte, daß Regen
diesen Weg binnen Sekunden in ein unpassierbares
Schlammfeld verwandelt hätte. Als er zu den ersten Häusern
kam, sah er aus mehreren Schornsteinen Rauch aufsteigen, und
er seufzte erleichtert, da er zuerst den Eindruck gehabt hatte, das
Dorf sei aufgegeben, so verlassen und verfallen war es.
Am Dorfeingang blieb er stehen, er sah keinen Menschen.
Auf der einzigen, von ärmlichen Lehmhütten gesäumten Straße
herrschte eine solche Stille, daß ihm war, als ginge er im Traum.
Er trat an das erste Haus. Es hatte keine Fenster, aber die Tür
stand offen. Er stellte seine Koffer auf den Gehsteig und ging
laut rufend hinein. Innen war es dunkel, weil Licht nur durch die
Tür einfiel, so daß er Sekunden brauchte, bis sich seine Augen
an das Dämmer gewöhnten. Dann sah er auf der gestampften
Erde zwei Kinder spielen, die ihn mit großen erstaunten Augen
ansahen. Aus dem Hinterhof kam eine Frau, sich die Hände an
der Schürze trocknend, auf ihn zu. Er grüßte sie und sie
erwiderte seinen Gruß hinter vorgehaltener Hand, damit er ihren
zahnlosen Kiefer nicht sehen konnte. Trueba erklärte ihr, er
brauche dringend ein Gefährt, das er mieten könne, aber sie
schien ihn nicht zu verstehen, versteckte nur mit ausdruckslosem
Blick ihre Kinder in den Falten ihrer Schürze. Er ging hinaus,
nahm sein Gepäck und setzte seinen Weg fort.
Als er schon fast das ganze Dorf durchlaufen hatte, ohne
jemanden zu sehen, und schon verzweifelte, hörte er
Pferdegetrappel hinter sich. Es war ein wackliger Karren, ein
Holzfäller lenkte ihn. Esteban stellte sich ihm in den Weg, so
daß er halten mußte.
»Können Sie mich zu den Drei Marien fahren? Ich zahle gut«,
rief er.
»Was wollen Sie da, Caballero?« fragte der Mann. »Das ist
herrenloses Land, eine Steinwüste, ohne Gesetz.«
Aber er war bereit, ihn hinzufahren, und half ihm, sein
Gepäck zwischen den Holzbündeln zu verstauen. Trueba setzte
sich neben ihn auf den Bock. Aus einigen Häusern kamen
Kinder und liefen hinter dem Wagen her. Trueba fühlte sich
einsamer denn je.
Auf einem verwilderten, von Gestrüpp überwucherten Weg
voller Löcher erschien, elf Kilometer hinter dem Dorf San
Lucas, das Holzschild mit dem Namen des Guts. Es hing an
einer zerbrochenen Kette, und der Wind schlug es, dumpf wie
ein Paukenschlag in einem Trauermarsch, gegen den Pfosten.
Mit einem Blick begriff Esteban, daß nur ein Herkules dies alles
aus der Verwahrlosung zurückholen konnte. Das Unkraut hatte
den Weg verschluckt, wohin er blickte, sah er Steinfelder,
Gestrüpp, Brachland: nirgends auch nur eine Andeutung von
den Feldern, den Weingärten, an die er sich erinnerte, und kein
Mensch kam
Weitere Kostenlose Bücher