Das Geisterhaus
heraus, ihn zu begrüßen. Der Wagen folgte
langsam einer Furche, die Vieh und Menschen durchs Gestrüpp
getreten hatten. Gleich darauf sah er das Gutshaus, das noch
stand, aber wie eine Alptraumvision erschien, ringsum Schutt,
abgerissener Draht vom Hühnerhof, Abfälle. Die Hälfte der
Dachziegel war zerbrochen, eine wilde Kletterpflanze wuchs
über die Fenster und bedeckte fast alle Wände. Um das Haus
herum sah er ein paar fensterlose Lehmziegelhütten, mit Stroh
gedeckt, schwarz von Ruß. Zwei Hunde rauften im Hof.
Das Knirschen der Wagenräder und das Fluchen des
Holzfällers riefen die Hintersassen hervor. Nach und nach
erschienen sie, betrachteten verwundert und mißtrauisch die
Ankömmlinge. Fünfzehn Jahre lang hatten sie keinen Gutsherrn
zu Gesicht bekommen und daraus geschlossen, daß sie keinen
mehr hatten. Den braunlockigen Knaben, der vor langer Zeit
einmal in diesem Patio gespielt hatte, konnten sie in diesem
hochgewachsenen, autoritären Mann nicht wiedererkennen.
Esteban sah sie an, und auch er erinnerte sich an keinen von
ihnen. Sie bildeten ein jämmerliches Grüppchen, darunter
mehrere Frauen undefinierbaren Alters, mit trockener,
aufgesprungener Haut, einige schwanger, alle in verwaschenen
Lumpen und barfuß. Er überschlug, daß mindestens ein Dutzend
Kinder aller Altersstufen dazwischen waren. Die kleinsten
waren nackt. In den Türen erschienen noch mehr Gesichter,
wagten sich aber nicht heraus. Esteban deutete eine Grußgeste
an, niemand erwiderte sie. Ein paar Kinder liefen, sich hinter
den Frauen zu verstecken. Esteban sprang vom Wagen, lud seine
Koffer ab und reichte dem Holzfäller ein paar Münzen.
»Wenn Sie wollen, warte ich auf Sie, Señor«, sagte der Mann.
»Nein, ich bleibe hier.«
Er ging zum Haus, öffnete die Tür mit einem kräftigen Stoß
und trat ein. Licht war innen genug, weil die Morgensonne
durch die zerbrochenen Fensterläden und die Löcher im Dach
schien. Alles war mit Staub und Spinnweben bedeckt, ein
Anblick totaler Verwahrlosung. Offensichtlich hatte in all den
Jahren keiner der Hintersassen es gewagt, aus seiner Hütte in
das große, leere Herrenhaus umzuziehen. Die Möbel waren
nicht angerührt worden, es waren dieselben wie in seiner
Kindheit, standen an denselben Stellen, sahen nur häßlicher,
finsterer und verrotteter aus als in seiner Erinnerung. Das ganze
Haus war mit einer Schicht Unkraut, Staub und dürrem Laub
wie mit einem Teppich ausgelegt. Es roch nach Gruft. Ein bis
aufs Skelett abgemagerter Hund bellte ihn wütend an, aber
Esteban Trueba beachtete ihn nicht, und zuletzt verzog sich der
Hund in eine Ecke, um sich zu flöhen. Esteban legte seine
Koffer auf einen Tisch und begann, ankämpfend gegen die
Traurigkeit, die ihn befiel, durchs Haus zu gehen. Von Zimmer
zu Zimmer sah er die Verwüstung, die die Zeit an allen Dingen
angerichtet hatte, die Armut, den Schmutz. Er fühlte, daß dies
ein weit schlimmeres Loch war als die Mine. Die Küche, ein
großer und hoher Raum, war voll Unrat, die Wände schwarz von
Holz- und Kohlenrauch, verschimmelt, verfallen, aber an
Nägeln hingen noch Töpfe und Pfannen aus Kupfer und Eisen
an der Wand, die in den fünfzehn Jahren nicht benutzt und von
niemandem angerührt worden waren. In den Schlafzimmern
standen die Betten und großen Spiegelschränke, die sein Vater
in besseren Zeiten gekauft hatte, aber die Matratzen waren nur
noch ein Haufen verfaulter Wolle und Ungeziefer, das
generationenlang darin genistet hatte. Er hörte das leise Trippeln
der Mäuse im Dachstuhl. Er konnte nicht feststellen, ob die
Fußböden aus Holz oder mit Fliesen belegt waren, weil sie
nirgends zu sehen waren und der Unrat alles zudeckte. Die graue
Staubschicht verwischte die Umrisse der Möbel. In dem Raum,
der einmal der Salon gewesen war, stand das deutsche Klavier
mit dem zerbrochenen Bein und den vergilbten Tasten, das wie
ein verstimmtes Spinett klang. In den Regalen lagen noch ein
paar Bücher herum, unlesbar, die Seiten von der Feuchtigkeit
aufgequollen, und auf dem Boden waren Reste uralter
Zeitschriften verstreut, die der Wind durcheinander geweht
hatte. Die Federung der Polsterstühle lag offen, in dem
Ohrensessel, in dem seine Mutter gestickt hatte, ehe sich ihre
Hände durch die Krankheit zu Krallen verformten, hatte eine
Ratte ihr Nest gebaut.
Nachdem Esteban den Rundgang beendet hatte, sah er klarer.
Er wußte nun, daß ihm eine titanische Aufgabe bevorstand, denn
wenn
Weitere Kostenlose Bücher