Das Geisterhaus
Mütze in der Hand, und ging weiter bis in den
luxuriösen Speisesaal mit den Kristallüstern und den Stilmöbeln.
Er hatte das Gefühl, daß alle Leute ihn ansahen, daß tausend
Augen auf seinen zu engen Anzug und seine alten Schuhe
starrten. Er setzte sich auf den Rand eines Stuhls, und die Ohren
brannten ihm, als er mit fast unhörbarer Stimme die Bestellung
aufgab. Voll Ungeduld wartete er, im Spiegel das Kommen und
Gehen der Leute beobachtend, und kostete schon im voraus das
Vergnügen, das er sich so oft ausgemalt hatte. Und sein Wiener
Kaffee kam, viel eindrucksvoller, als er ihn sich vorgestellt
hatte, großartig, köstlich, mit drei Honigplätzchen garniert.
Lange betrachtete er ihn fasziniert. Endlich faßte er sich ein
Herz und tauchte, seufzend vor Glück, den langstieligen Löffel
in die Sahne. Das Wasser stand ihm im Mund, aber er war
bereit, diesen Augenblick so lange wie möglich dauern zu
lassen, ihn unendlich auszudehnen. Er begann zu rühren, er sah,
wie sich die dunkle Flüssigkeit im Glas mit dem Schaum
vermischte. Er rührte, rührte, rührte… Und plötzlich stieß die
Löffelspitze gegen das Glas, ein Loch entstand, durch das unter
Druck der Kaffee herausschoß. Er floß auf seine Kleider.
Entsetzt sah Esteban, wie sich unter den amüsierten Blicken der
Gäste an den anderen Tischen der ganze Inhalt des Glases über
seinen einzigen Anzug ergoß. Bleich vor Enttäuschung stand er
auf und verließ das Hotel, um fünfzig Centavos leichter und
hinter seinen Schritten ein Rinnsal Wiener Kaffee auf dem
weichen Teppich hinterlassend. Durchnäßt, wütend, außer sich
kam er zu Hause an. Als Férula erfuhr, was geschehen war,
kommentierte sie erbittert:
»Das ist dir passiert, weil du das Geld für Mamas
Medikamente für deine Kaprizen ausgibst. Gott hat dich
gestraft.« In diesem Augenblick sah
Estaban mit aller
Deutlichkeit die Mechanismen, deren sich seine Schwester
bediente, um ihn zu beherrschen, die Art, durch die sie erreichte,
daß er sich schuldig fühlte, und er begriff, daß er sich von ihr
absetzen mußte. In dem Maße aber, in dem er sich aus ihrer
Vormundschaft befreite, wurde er Férula unsympathisch. Die
Freiheit, die er als Mann genoß, schmerzte sie wie ein Vorwurf,
wie eine Ungerechtigkeit. Als er sich in Rosa verliebte und
Férula ihn verzweifelt wie einen kleinen Jungen um Hilfe bitten
sah, als er sie brauchte, im Haus hinter ihr herlief, um sie
anzuflehen, sie solle doch den Kontakt zur Familie del Valle
aufnehmen, mit Rosa sprechen, die Nana bestechen, fühlte sie,
daß sie für Esteban wieder wichtig war. Eine Zeitlang schienen
sie miteinander versöhnt zu sein. Aber diese Wiederannäherung
war nicht von Dauer, und Férula bemerkte bald, daß sie benutzt
worden war. Sie war froh, als ihr Bruder zu seiner Mine fuhr.
Seit seinem fünfzehnten Jahr, als er zu arbeiten begann,
unterhielt Esteban das Haus und hatte sich verpflichtet, das auch
künftig immer zu tun, aber Férula genügte das nicht. Es ärgerte
sie, weiter zwischen diesen nach Alter und Arzneien stinkenden
Wänden eingeschlossen zu bleiben, nachts nicht schlafen zu
können wegen der Klagelaute der Kranken, ständig auf die Uhr
zu sehen, um ihr die Medizin zu geben, während ihr Bruder über
diese Pflichten hinwegsah. Er konnte sich ein lichtes, freies,
erfolgreiches Leben aufbauen. Er konnte heiraten, Kinder haben,
Liebe erfahren. An dem Tag, an dem sie das Telegramm aufgab,
in welchem sie ihm den Tod Rosas mitteilte, verspürte sie einen
seltsamen Kitzel, beinahe Freude.
»Irgendwas mußt du arbeiten«, wiederholte Férula.
»Solange ich lebe, wird es euch bestimmt an nichts fehlen«,
sagte er.
»Das sagt sich leicht«, antwortete Férula, während sie sich
eine Gräte aus den Zähnen zog.
»Ich glaube, ich gehe aufs Land, auf die Drei Marien.«
»Die sind heruntergewirtschaftet, Esteban. Ich habe dir schon
immer gesagt, es wäre besser, das Land zu verkaufen. Aber du
bist stur wie ein Maulesel.«
»Land soll man nicht verkaufen. Es ist das einzige, was bleibt,
wenn alles zum Teufel geht.«
»Da bin ich anderer Ansicht. Das Land ist eine romantische
Idee. Was die Leute reich macht, ist der gute Blick fürs
Geschäft«, wandte Férula ein. »Aber du hast ja schon immer
gesagt, daß du eines Tages aufs Land gehst.«
»Jetzt ist dieser Tag gekommen. Ich hasse die Stadt.«
»Sag lieber gleich, daß du dieses Haus haßt.«
»Das auch«, antwortete er brutal.
»Ich
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