Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
wurde er wieder ernst und bemerkte: »Die sind ja begehrt in ganz Wien, die ehemaligen freien Töchter, hörte ich. Als Köchinnen, möchte man meiner Schwester Katharina Glauben schenken, und vor allem als … Ehefrauen, möchte man den Bürgern Wiens vertrauen. Aber da müssen Sie sich wohl selbst davon überzeugen, Alexander von Randegg!« Der Herzog rief einen Schreiber herbei und meinte nicht ohne Augenzwinkern: »Dann rettet mir halt diese Dirne, ich hab bei Gott andere Sorgen.« Der Schreiber schüttelte ratlos seinen Kopf, und Albrecht klopfte Sander auf die Schulter: »Was gibt’s da zu überlegen, Schreiber, sucht halt einen, der sie heiraten mag!«
*
Hofmeister Finkenstein lief behände durch die Gassen Wiens. Er atmete tief durch und war fest überzeugt, dass er seine Rettung nur den wohltätigen Wirkungen seiner Heiligtümer zu verdanken hatte! Sämtliche Heiligen da droben, damit sah er in den wolkenverhangenen Himmel, hatten sich vereint, um ihn, ihren treusten Verehrer, halbwegs ungeschoren aus diesem Schaunberger Schmutz herauszuziehen! Aber jetzt brauchte er Ruhe, absolute Stille, um nachzudenken, was er alles tun könnte, damit der Herzog ihm wieder gewogen wäre. Doch als er an die stetigen Geldsorgen der Habsburger dachte, wurde ihm warm ums Herz. Es würde nicht allzu lang dauern, bis Albrecht wieder angekrochen kam, da war er sich sicher! Also, warum sich Sorgen machen? Klammheimlich zog sich Hofmeister Fichtenstein in die kleine Kammer, die als Aufenthaltsraum für die Zöllner diente, zurück. Hier, über der spitzbogigen Durchfahrtshalle des Rotenturmtores, war einer seiner Lieblingsplätze, denn er konnte auf der einen Seite nach Süden über die Stadt blicken bis zur Stephanskirche und zur Burg, und auf der anderen Seite weit nach Norden über die Donauauen tief in das Land hinein. Hier hatte er sich schon oft verkrochen, nicht nur der schönen Stadt und der Landschaft wegen, das war nur die Draufgabe. Denn erst richtig anregend und schön war es zu sehen, wie Reisende, Schiffer und Fuhrleute von den Zöllnern hemmungslos um ihr Geld erleichtert wurden, bevor man sie in die Stadt ließ. Diese Allgegenwart von Geld und Reichtum war immer noch das beste Mittel für ihn, sich zu entspannen. Mit einem Seufzen wandte sich der Hofmeister zum kleinen, spitzbogigen Fenster und gedachte, sich in das Bild der Donau, die hier in einzelnen Armen wie aus Silberschnüren, dahinfloss, zu versenken. Doch was war das? Da staunte er nicht schlecht, der Hofmeister Fichtenstein! Zu eigentümlich war der Blick auf das, was eine fahle Mittagssonne an diesem Novembertag beschien. Zu seinen Füßen breitete sich nicht nur die Donau aus, nein, ganz Wien schien sich hier vor der Langen Bücke versammelt zu haben.
Da war doch dieser Sänger, dieser stiernackige, grobschlächtige, ewig zwinkernde Kerl! Warum umarmte der denn den Ignaz Mitterlehner, den Henker, so innig? Also der konnte ja was erleben, bei der nächsten Hinrichtung würde er sich nicht mehr so sang- und klanglos aus dem Nachlass der Opfer bedienen dürfen wie sonst immer! Bei allen Heiligen, warum schielte diese Dirne, die hier ja offensichtlich ersäuft werden sollte, noch immer aus dem Sack, wo waren die Schergen denn? Wo war der Priester, der das letzte Vaterunser mit ihr zu beten hatte? Suchend sah der Hofmeister von seinem hohen Sitz hinab und fand den Geistlichen mehr als nur angeheitert mit einem Becher Wein herumstehen. »Jetzt langt es aber«, schrie Finkenstein und öffnete das Fenster. Verdutzt hielt er inne, was kam da für ein erbarmungswürdiges Gekrächze an sein Ohr: »Halleluja, Halleluja!«, schallte es von der Langen Brücke, wo die büßenden Frauen mittlerweile, mitgerissen von den derben Liedern Wolkenbergs, für den nötigen Hintergrundchor sorgten. Die Zuhörer, abgefüllt mit einem guten Regensburger Tropfen, hin und her gerissen zwischen dem schlüpfrigen Text Ewalds und den klerikalen Untermalungen des Büßerinnenchores, brüllten vor lauter Lachen und fielen sich gegenseitig, um Luft ringend, um ihre schmutzigen Hälse. Angewidert knallte der Hofmeister das Fenster zu, er würde sie nie verstehen, die Wiener, nie und nimmer! Bevor er sich kopfschüttelnd abwandte, sah er noch einmal auf der anderen Seite zum Fenster hinaus und erblickte gerade noch den jungen Mann, der vornehm und reich gekleidet die Rotenturmstraße herunterlief, als sei ihm eine Herde Höllenhunde auf den Fersen! »Aber das kann doch nicht, das
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