Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
ließ es ihm kalt den Rücken hinunterlaufen. Was war nur mit dem Jüngling los, hatte er es sich eingebildet oder glänzten seine Augen wirklich wie im Fieber, ging sein Atem stoßweise und zitterten seine Hände? Ein komischer Kauz! Ein guter Falkner sicherlich, aber ein wirklich seltsamer Mensch. Was würde nur werden, wenn er ihn unter seine Fittiche nehmen musste? Und das würde er müssen, auf höchsten Befehl der Herren. Dieser komische Junge würde Teil der Reisegesellschaft nach Wien sein, das war unumstößlich entschieden. Da konnte man nichts mehr machen, man musste sich fügen. Achselzuckend machte sich der Falkner auf den Weg in die Burgküche, um sich einen wärmenden Trunk nach diesem frostigen Tagesbeginn zu erbitten.
Der Jüngling hingegen bedurfte keiner wärmenden Gabe, ein Feuer brannte in seinem Innersten lichterloh und schien ihn fast ganz zu verzehren. Er würde die Burg verlassen, das Gefängnis seiner Kindheit. Er durfte weg! Verzückt versorgte er den Falken, setzte ihn in seinen Käfig, zog ihm die Haube vom Kopf, band die Langfessel sorgfältig. Verträumt musterte er das Tier, kauerte sich in seiner ganzen verwachsenen Gestalt in eine Ecke und gab sich seinen Tagträumen hin. Ganz weit weg würde es gehen, nach Wien, und in Begleitung seines Lieblingstieres.
Alles veränderte sich in diesem einzigen Moment, als man ihm die Entscheidung des Herrn mitteilte. Die beengte Kammer wurde weit, sein mühsames Atmen leicht, seine Angst und Bedrängnis verschwanden. Er würde auf Reisen gehen, sich in die Lüfte erheben, gleich seinem Falken würde er sein Opfer erspähen mit seinen kleinen braunen Augen. Gleich diesem wunderbaren Tier, das unter dem Dunkel seiner Haube in einem Dämmerzustand verharrte, um dann, hochgeworfen in die Luft, höher, immer höher zu steigen, immer weiter und weiter weg zu reisen …
Angenehm wie ein seidenes Gewand umschmeichelte die Luft seine kranken Lungen. Atem, wohltuend und leicht, befreite die Fessel, die sonst seinen Brustkorb umschloss. Diese Kraft und Überlegenheit, endlich die Schmach und Schande hinter sich lassen zu können, beflügelten ihn. Unbeherrscht brach sich die Begeisterung Bahn, und der Junge schrie erst leise, dann immer lauter, und aus leisem Gekrächze wurde ein weittönendes Triumphgeschrei.
Gleich einem Raubvogel rannte und hüpfte er herum, ungebärdig vor Freude und Übermut. Da, er vermeinte ein Opfer erspäht zu haben, es war ein Spiel, eine Einbildung, aber sogleich bahnte sich der Gedanke seinen Weg, ließ ihn zum Falken werden, zum Raubvogel, zur Bestie. Im Sturzflug ließ er sich nieder auf das wehrlose Opfer, ein Stück Fleisch, das plötzlich Konturen annahm, ein Gesicht bekam, Haare, Augen, eine Nase, einen Mund. Mit unglaublicher Härte stieß er mit der Klinge auf die blasse Haut, die den zarten Nacken umspannte. Einem Falken gleich durchbohrte er mit gezieltem Hieb die Schädeldecke. Er stellte sich das Blut auf dem gelockten Blondhaar vor, oder war das Haar glatt, war es brünett? Ehernen Krallen gleich umschloss seine Hand den Oberkörper seiner Beute, drückte sie zu Boden und schlang mit der anderen die Lederschnur um ihren Hals. Mit seinem ganzen Körpergewicht legte er sich auf sein Opfer und zog fester und fester. Ohne Bedauern, ohne Gnade wartete er, bis er keine Bewegung mehr spürte, kein Zucken, kein Zittern.
Was machte es denn aus, dass er nur eine armselige Kreatur war, wenn er doch in Gedanken so viel mehr war? Der verwachsene Junge spürte in seinem Traum weder die Kälte, die vom erdgestampften Boden in seine Knochen kroch, er roch nicht den beißenden Gestank des Vogelkots, zu sehr nahm ihn diese wollüstige Vorstellung gefangen. Sein Magen krampfte sich vor Erregung zusammen, als er in Gedanken das grausige Bild betrachtete. Den misshandelten Körper, die verrenkten Glieder, das geronnene Blut. Wie ein Schauspiel bewunderte er seinen Beutezug. Es war wunderschön. Es war stark. Und es bereitete ihm Vergnügen. Er wusste, er würde es tun, nicht nur in Gedanken, zu sehr lockte ihn die Lebendigkeit, die Macht über Tod und Leben.
Wie ein Irrer lachte er, als er den Ruf des Falkners von draußen hörte: »Wir packen’s, alles Getier in die Verschläge, Ausrüstung in die Satteltaschen, es geht los, wir ziehen nach Wien!«
*
»Hundsviecha, elendige«, laut schimpfend zog Johanna ihren rechten Fuß, der ziemlich klein für eine Frau ihres Umfanges war, nach oben. Mit einem unappetitlichen Schmatzen
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