Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
Augen. Augen, die trotz ihrer unauffälligen wässrig blauen Farbe meist forschend und neugierig in die Welt blickten, nun aber stumpf auf den mit Holzlatten ausgelegten Boden starrten.
»Warum strengt mich alles nur so an«, sagte sie leise zu sich selbst, »sooo alt bin ich ja auch wieder nicht.« Mit 42 Lenzen zählte Johanna zweifellos zu den älteren Büßerinnen, doch ein paar von den ehemaligen Dirnen waren noch viel älter als sie.
»Und was ist denn schon groß geschehen, außer, dass ich in einen Hundehaufen getreten bin und nun ein bisserl später zum Ausliefern komm«, dachte sie weiter laut nach. Plötzlich konnte sie ihre Wut von vorhin gar nicht mehr verstehen, ja konnte sich selbst nicht verstehen.
»Hat der Barthel etwa recht, und bin ich wirklich schon saurer als meine Essiggurken? Sicherlich, dieses Mannsbild kann einem den letzten Nerv ziehen, aber eigentlich ist er ja doch ein gutmütiger Depp.«
Wenn Johanna da an andere Bekanntschaften aus ihrem früheren Leben dachte …
Ihr früheres Leben als eines von zehn Kindern der Maipelts, die sich mit dem Binden von Bürsten und Besen eher schlecht als recht über Wasser hielten: Der ewige Hunger, die Enge des Hauses, das eher einem Verschlag glich, der Schmutz der Haustiere, die im einzigen Wohnraum der Familie herumliefen, Hühner, Enten, Gänse … Johanna schon mit zwölf in ihrer ersten Anstellung als Helferin auf dem Markt, mit 14 auf der Straße, mit 16 im Frauenhaus und im öffentlichen Bad am Stubentor, mein Gott, was war ihr da alles untergekommen! Ein kurzes Zittern durchfuhr Johanna, so plötzlich und stark war der Ekel, selbst jetzt noch, nach so vielen Jahren. Als sei es gestern erst gewesen, hatte sie den Geruch nach Schweiß und Alkohol in der Nase, die deftigen Sprüche der Männer im Ohr, taten die Schläge und Misshandlungen ihr auf sämtlichen Körperstellen weh. Welche Wonne war es gewesen, dieses verhasste gelbe Tüchlein, das sie jahrelang an der Schulter tragen musste, hier in dieser Küche, in diesem Ofen zu verbrennen! Keine Dirne mehr, nicht mehr für jeden zu haben! Welch guter Stern hatte sie hier ins Kloster geführt.
Warum nur war sie dann so grantig wie vorhin, warum beschlich sie in letzter Zeit immer öfter eine Traurigkeit, die sie umfing wie ein schwarzer Schleier? War sie vielleicht unglücklich hier im Kloster? War sie so wie die anderen, die jüngeren Frauen, die nur warteten, bis sie ein Mann heimführte und von Gebet und Buße direkt ins eheliche Bett verfrachtete?
Stumm schüttelte Johanna ihren gesenkten Kopf, dass ihr Doppelkinn sich an der Brust hin und her rieb. Nein, unzufrieden war sie nicht in Sankt Hieronymus. Mit einem diebischen Grinsen musste sie daran denken, wie sie sich Schritt für Schritt die Küche erobert, Marlen als Hilfskraft ausgebeten, Yrmel dazubekommen hatte. Und das alles nur, weil sie es schaffte, mit wenig Geld etwas Gutes auf den Tisch zu bringen. Als wäre das bei ihrer Vergangenheit, bei den ewig hungrigen Mäulern ihrer Geschwister eine Kunst! Wie im Paradies war es hier, dünkte es Johanna, wenn sie an den Sack Hirse in der einen, an das Schaff Gerste in der anderen Ecke, an die zahlreichen Eier im Keller, an die Kohlköpfe und Rüben dachte, die körbeweise in den angrenzenden Vorratsräumen lagerten. Da machte es echte Freude, zu kochen, da konnte Johanna wirklich aus dem Vollen schöpfen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie keinen Hunger. »Und das«, meinte sie verdrossen und klopfte mit der flachen Hand auf ihren Bauch, »musste ich ja wieder voll übertreiben. Wo nur ist meine schlanke Gestalt hin? Ich seh aus wie eine gemästete Gans. Aber was soll’s, es schmeckt halt zu gut.« Damit strich sie sich über ihren gewaltigen Busen und dachte angestrengt nach, was sie heute so zum Abendbrot auftischen sollte.
Ja, die Bürger der Stadt Wien ließen sich nicht lumpen, wenn es um die Versorgung der gefallenen Mädchen und deren Seelenheil ging. Zahlreiche Spenden erreichten Sankt Hieronymus mehrmals im Jahr. Erst letztens in der Fastenzeit kam ein ganzes Fass Heringe vom reichen Handwerker Popfinger, der auch im Stadtrat saß.
»Ja«, schmunzelte Johanna und rieb sich ihre kalt gewordenen Zehen mit den Fingern warm »da wird der Popfinger wohl so manch nette Erinnerung an die Hübschlerinnen mit sich herumtragen, dass er gleich ein ganzes Fass spendiert hat.« Aber trotz der Großzügigkeit war das Geld im Kloster immer knapp, war Johanna immer angehalten,
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