Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
machte es da aus, dass sich der gutgeratene Neffe im Sattel wieder in den maulenden, sich über die kleinste Unbill beschwerenden und ewig lamentierenden Sander verwandelte und allen Mitreisenden, seinem Oheim mit eingeschlossen, fürchterlich auf die Nerven ging? Gar nichts machte es aus. Was für ein guter Stern hatte Ewald zu ihnen geführt! Der Patriarch von Aquileia mochte gar nicht daran denken, wie die weite Reise ohne seinen Knappen ausgesehen hätte. Wahrscheinlich hätte er Sander irgendwo auf dem Weg ausgesetzt, ihn in den nächsten reißenden Fluss getaucht oder über einen Felsvorsprung baumeln lassen! Aber so war Ewald, wenn die Launen des verwöhnten Sanders wieder einmal das Maß alles Erträglichen sprengten, stets zur Stelle und rettete die Situation mit einem flotten Scherz, einem spontanen Spottlied oder einfach nur mit einem Augenzwinkern, das dem Jungen ja wahrlich eingebrannt war in seinem außergewöhnlichen Antlitz. Kurz blickte Bernhard zur Seite und sah seinen Neffen missmutig und fast in seiner Gugel verschwindend auf dem Pferd sitzen. Schnell schaute er wieder weg, bevor Sander seiner Aufmerksamkeit gewahr wurde. Er wollte sich jetzt keine Beschwerden anhören. Ihn selbst plagten das feuchte Wetter, der Nebel und die Kälte, die durch die Kleidung bis an die Haut reichte, ebenfalls. Keinesfalls wollte er das Gejammer Sanders hören, hatte er als alter Mann doch mehr als einen Grund, sich über schmerzende Knochen und rheumatische Glieder, über verspannte Muskeln und einen steifen Nacken zu beschweren! Doch der Patriarch war hart im Nehmen und unerbittlich seinen eigenen Bedürfnissen gegenüber. Das Reisen unter noch viel widrigeren Bedingungen war Teil seiner Berufung. Und so ließ er wieder seine Gedanken wandern und mit einem leisen Lächeln gedachte er seiner ersten Reise, die ihn vom schwäbischen Randegg als frischgebackener kaiserlicher Diplomat in die weite Welt hinaus geführt hatte. Wie stolz war er doch gewesen, Kaiser Karl IV. auf seinem Weg zu Papst Clemens VI. nach Avignon begleiten zu dürfen! Wie unmöglich war da erst das Wetter und wie unerfahren er selbst! Viel gereifter war er dann, als er bereits den Bischofsstuhl von Augsburg innehatte und den Kaiser bei dessen erster Romfahrt begleitete. Seine erste Alpenüberquerung im kaiserlichen Tross, das war ein Abenteuer gewesen! Plötzlich erlosch das Lächeln auf dem Gesicht des alten Mannes. Viel unangenehmere Erinnerungen suchten ihn nun heim. Er sah sich selbst in Waffen als Anführer eines kleinen, aber gut ausgerüsteten Heeres, das mit gnadenloser Gewalt einen Aufstand gegen den Kaiser in Pisa niederschlug, er sah sich als königlicher Statthalter Entschädigungszahlungen von den Aufständischen eintreiben und er sah sich im Auftrag von … Hier unterbrach er seine Gedanken vehement, denn er wollte keinesfalls an diese Zeit seines so langen Lebens erinnert werden. Dieser Schmach und Schande wollte er sich jetzt in diesem Moment nicht stellen. Und doch wusste er, dass er sich der Verantwortung nicht würde entziehen können. Freilich, von außen würde ihn niemand dazu zwingen, zu gut wurden die Spuren von höchster Stelle verwischt, ganz ausgezeichnet sorgte man dafür, dass der Ruf des Patriarchen fleckenlos war. Doch er selbst kam damit nicht zurecht, und es war eine Frage der Zeit, bis er mit dieser weißen Weste, die wie eine Rüstung seine Seele umschloss, noch leben konnte. Immer drängender und immer öfter verlangte sein Gewissen, reinen Tisch zu machen und sich endlich, nach all den Jahren, dieser Tat, die er aus reinem Geltungsbedürfnis und unlauterer Ruhmsucht begangen hatte, zu stellen. Warum nur war sein Ehrgeiz so stark gewesen? War es nicht genug, Statthalter zu sein, musste er auch noch Patriarch von Aquileia werden? Er hatte seinen Frohsinn, seine Seelenruhe für dieses Amt verkauft, für einen Judaslohn hatte er sich zu einem menschlichen Scheusal herabgewürdigt. Seufzend schlug er seinen Reisemantel fester um seine Oberschenkel. Ihm fröstelte, doch er wusste, dass die Kälte aus seinem Inneren kam und rein gar nichts mit dem Wetter zu tun hatte.
Um sich abzulenken, schweifte sein Blick nach vorn, und er musste erkennen, dass der Passauer Bischof noch immer genau vor ihnen ritt. Bernhard von Randegg schmunzelte über den schwitzenden Kirchenfürsten, um gleich darauf wieder ernst zu werden und in Gedanken zu versinken. Nein, er würde nicht den Fehler aller anderen machen und sich mit diesem
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