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Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Fuchs
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Reiselust nannte, und Sander war stolz auf sich und freute sich an diesem Abenteuer. Er freute sich so, dass er immer öfter auf sein mürrisches Gesicht vergaß und still zu lächeln begann. Natürlich nur dann, wenn er sich unbeobachtet fühlte und weder Ewald noch sein Oheim seiner ansichtig wurden! Der wildromantische Lech hatte es ihm angetan, und Landsberg und Königsbrunn erschienen ihm wie Vorboten des noch prächtigeren Augsburg. Fast hätte er laut gejubelt, als ihm Bernhard von Randegg auf die Schulter klopfte und rief: »Jetzt, mein Sohn, kommst du nach Hause, ins Land deiner Eltern!« Gerade noch konnte er sich zurückhalten, sein griesgrämiges Gesicht aufsetzen und unbestimmt murmeln: »Endlich, wurde auch schon Zeit.« Alles würzte er mit eindringlichen Schilderungen der Blasen an seinen Fingern und der Druckstellen an seinem Hinterteil und verbrämte die ganze Lamentiererei mit Stöhnen und Ächzen, bis der Patriarch die Gesellschaft seines Knappen Ewald bevorzugte, weil der nicht jammerte, sondern dauernd sang oder Possen riss. Aber genau das wollte Sander: allein sein. Augsburg ganz für sich begrüßen und sich vorstellen, dass seine Mutter und sein Vater auf den lang vermissten Sohn warteten. Es war ein Spiel, sein ganz persönliches Spiel, um mit seinem Leben zurechtzukommen. Er stellte sich vor, wie sein Vater als Teil des stolzen Bürgertums in einem vornehmen Zunfthaus auf ihn wartete, wie die Mutter mit reich verzierter Haube und langem Schleppgewand auf dem Domplatz einherschritt, wie er selbst über das Kopfsteinpflaster ritt und die windschiefen Häuschen hinter sich ließ, um nur ja schnell zu seinem Elternhaus zu kommen, das natürlich das prächtigste des Viertels war. Vorbei an den Kirchen, den Stiftsbauten, über die Lechkanäle durch das arme Handwerkerviertel. Ja, Augsburg war für Sander die Stadt zum Träumen, der Hoffnung auf Familie, des Willkommens und Daheimseins. Nur eines bedachte Sander nicht. Er war nicht so gut im Verstellen und konnte fast jedem auf der Welt etwas vormachen, nur nicht seinem Oheim, der ihn von frühester Jugend an umsorgte und sich mit seinen Launen wohl besser auskannte als er selbst. Doch Bernhard von Randegg ließ seinen Neffen in Ruhe. Er spürte mehr als er es sehen konnte, dass Sander sich in sein Innerstes zurückgezogen hatte, und respektierte das. Jeder hatte ein Recht auf seine eigene Welt. Umso mehr schonte er den Jüngling, da er nur zu gut wusste, was in den kommenden Tagen alles auf ihn einstürmen würde. Und er täuschte sich nicht, die ganze Sippe der Randeggs, und das waren bei Gott nicht wenige, standen gleich einem Ritterturnier am Anfang der Startbahn und wetteiferten, wer die beste, schillerndste und seelenvollere Überraschung für die Ankömmlinge bereithalten würde. In all den Begrüßungsszenen, Festen und Veranstaltungen hatte Bernhard den Eindruck, dass Sander der Trubel guttat. Zum ersten Mal nach dem frühen Tod seiner Mutter hatte er wohl das tröstliche Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein, das spürte sein Oheim ganz deutlich am Lächeln und am Betragen seines Mündels. Tanten, Cousinen und Cousins, deren Kinder und Kindeskinder, die ganze kunterbunte, fröhliche Schar, die sich zu Ehren der Weitgereisten in Augsburg versammelt hatte, entschädigte Sander für den Verlust seiner Eltern und Großeltern. Sein Oheim, der ihm Vater und Mutter in all den Jahren ersetzt hatte, blieb stets an der Seite seines Mündels. Er kannte Sander und wusste, dass die zur Schau getragene oberflächliche Heiterkeit keinesfalls seiner wahren Stimmung entsprach. Vielmehr wurde der junge Mann von der Vielzahl an Gefühlen, die sein Innerstes berührten, schier überfordert. Doch Bernhard von Randegg bemerkte mit Wohlwollen, dass sich sein Neffe wacker durch die Familienfeierlichkeiten kämpfte, sich stets bemühte, aufmerksam und zuvorkommend zu sein und alles in allem glänzende Manieren zur Schau trug. Gleich seinem Neffen blickte Bernhard von Randegg nun, eingebettet in die angenehme Erinnerung an Augsburg, nach vorn, und genauso wie sein Mündel nahm ihm das breite Gesäß des Passauer Bischofs einen Gutteil seines Sichtfeldes weg. Auch er schüttelte sein Haupt und hörte wie durch einen Nebel seinen Neffen: »Ich bin schon ganz nass, mir ist kalt und ich will von diesem Gaul runter!« Nachsichtig sah der Patriarch zur Seite, dachte noch einmal mit Wehmut an Augsburg und lächelte den unwirsch dreinschauenden Jüngling an. Was

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