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Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Fuchs
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die Finger trotz der Handschuhe klamm um die Zügel geschlossen, ritten sie im Schritt neben- oder dicht hintereinander. Kein Rufen, kein Scherz waren zu hören. Hier und da schnaubte ein Pferd oder ein Maultier. Manchmal klirrte ein Teil des Zaumzeuges metallisch. Gelegentlich räusperte sich ein Reiter. Sonst war es gespenstig still zu dieser frühen Stunde, nur der monotone Hufschlag war zu hören, den aber keiner mehr wirklich wahrnahm, weil er einfach immer da war. Je näher man der Stadt Wien kam, umso größer wurde die Gruppe. Alle waren müde und erschöpft, alles drängte zur Herzogshochzeit. Sander, der stur und ohne nach rechts und links zu sehen neben seinem Oheim ritt, starrte geradewegs auf das ausladende Hinterteil seines Vordermannes. Der Bischof von Passau, der irgendwo, Sander wusste es nicht mehr genau zu benennen, jedenfalls im Land Österreich ob der Enns zu ihrem Tross gestoßen war, schwitzte trotz des kühlen Wetters. Der feiste Mann ließ sich von einem seiner zahlreichen Knappen immer wieder ein mit Spitzen eingefasstes weißes Tüchlein reichen und betupfte sich damit pikiert und betont vornehm seine tropfnasse fettige Stirn. Ein lächerliches Unterfangen, denn der Bischof, der nach Sanders Einschätzung fast mehr als sein bedauernswertes Pferd wog, wirkte in seinem Prunk alles andere als vornehm. Eher wie ein mit Brokat und Atlas überzogener Sack voll Futterrüben. Da konnte ein wertvolles Leinentüchlein auch nichts ausrichten. Umso mehr, als der Befehlston, den er gegenüber seinen Bediensteten anschlug, auch alles andere als fein war. Doch Sander wollte sich mit dem Bischof und seinem Gefolge nicht beschäftigen, schüttelte seinen Kopf unter der feuchten Kapuze, wie um seine Gedanken an dickleibige Würdenträger fortzuschleudern, und begann, das ihm inzwischen ganz vertraute Spiel zu spielen. Er ließ seinen Erinnerungen freien Lauf, guten und tröstlichen Vorstellungen, und klammerte sich an die Gewissheit, dass er mit jedem Schritt seines Pferdes seinem Ziel näherkam und diese Tortur an Unbequemlichkeit, Kälte und Regen Hufschlag für Hufschlag kürzer wurde. Ganz bewusst wollte er an zu Hause denken, doch zu seiner grenzenlosen Bestürzung musste er einsehen, wie weit entfernt Lucca nicht nur vom Weg her, sondern auch von seinen Empfindungen war. Plötzlich war er sich sicher, hätte man ihn schnell nach der Farbe der Stickerei seiner Bettwäsche zu Hause gefragt, den Motiven auf seinem Zinnbecher oder den Intarsien auf seiner Sitztruhe, so müsste er schon ein Weilchen darüber nachdenken. Befremdend war all das für ihn. Alles war so weit weg, sein Leben im Palazzo schien ihm jetzt wie ein ferner Traum. Er schien gar nicht mehr der Alessandro zu sein, der von der kleinen Ella im Morgengrauen verabschiedet wurde, sondern irgendein anderer. Seine Erinnerungen fühlten sich an wie Kinderschuhe, lieb gewonnen, vertraut, aber zu eng geworden. Zu viel war seit September passiert, die Eindrücke, die er im letzten halben Jahr auf dieser Reise mit seinem Oheim sammeln durfte, verdrängten nach und nach alle Erinnerungen an sein Zuhause. Nicht, dass er sein geliebtes Lucca vergaß, das würde nie der Fall sein, aber allmählich drängten sich andere, fremde, interessante Bilder in seine Gedankenwelt und beschäftigten ihn über die Maßen. Und so kam es, dass er beim Anblick des Hinterteils des Passauers augenblicklich an die Speckschwarten in der Niederlage des Innsbrucker Hauses denken musste, an den heimeligen Geruch von Geselchtem und Glühwein.
    Von Innsbruck aus, wo er sich von der anstrengenden Alpenüberquerung erholen durfte, ging der Tross Richtung Augsburg. Auf der altehrwürdigen Via Claudia Augusta bewegte sich die Reisegesellschaft den Inn entlang, passierte Stams und Imst. Sander war nun, ausgeruht, zugänglicher für die herrliche Gebirgskulisse und genoss den Blick auf blaugrüne Gebirgsseen und kleine Dörfer. Besonders gefiel ihm Schongau, die Grenzfestung mit Wehranlagen und Stadtmauer. Der Blick auf das Lechtal ließ ihn Großes erwarten, und er wurde nicht enttäuscht. Es wäre nicht Sander gewesen, wenn er seine Begeisterung offen zur Schau gestellt hätte. Natürlich gab er sich weiterhin mürrisch und schlecht gelaunt. Sein Oheim sollte nur wissen, welch großes Opfer er mit dieser Reise auf sich nahm und wie schwer es ihm fiel, auf alle Bequemlichkeit zu verzichten. Doch unter dieser Maske der Unzufriedenheit wuchs langsam ein zartes Pflänzchen, das sich

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