Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
vor ein paar Jahren die Stadt Eferding abgekauft. Scheinen sich gut zu verstehen, die beiden Herren. Außerdem ist er der Berater von Albrecht und Leopold gewesen, das verbindet doch!«
Ewald bezweifelte das zwar heftig, aber wie er von seiner eigenen weitverzweigten Familie wusste, kamen einem da die absonderlichsten Konstellationen zu Ohren. Er musste nur einen Augenblick an seine zwei Brüder und vier Schwestern zu Hause im fernen Tirol denken, und es lief ihm ein unangenehmer Schauer über den Rücken. Wie froh war er, dass er sich die Welt anschauen durfte und im Gefolge Bernhards von Randegg untergekommen war. Er nahm das nicht für selbstverständlich, auch wenn es für einen Jüngling seines Standes völlig richtig war, als Knappe zu reisen.
»Wer ist dann das, der auch so finster schaut und überhaupt gar nichts darstellt.«
»Wer?«
»Na der ganz in Schwarz, mager und verschrumpelt.«
»Psst, Ewald! Das ist der Hofmeister des Herzogs, ein Finkensteiner, hohe Familie, alte Ministerialen, viel Macht!«
»Gut. Ich sag es dir ehrlich, Sander, ich habe jetzt genug von deinen hochwohlgeborenen Familiengeschichten. Da ist mir das einfache Volk viel lieber. Nach dem, was ich heute Nachmittag gesehen habe, sind sie auch dir, besonders die Weibchen unter ihnen, viel lieber, oder irre ich?« Lauernd wartete Ewald auf die Erwiderung seines Freundes und prustete laut los, als sich dessen Wangen dunkelrot färbten.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte der so ertappte Sander und widmete sich mit gespielter Hingabe einem in Honig getauchten Hühnerschenkel.
»Nun, ich meine die Töchter dieser lasterhaften Stadt, die den Hintern drehen, den Busen raushängen lassen, die …«, weiter kam Ewald nicht, denn Sander hielt ihm den Mund zu und zischte zornig: »Halt’s Maul! Alle sind nicht so!«
»Aff, fag bfof«, presste Ewald durch die behandschuhte Hand Sanders hervor und setzte fort, als er sich mit einem Schlag davon befreit hatte: »Ich sah zwar dicke, dünne, große, kleine, aber alle hatte sie es an der Achsel – das gelbe Tüchel! Allesamt zu haben – die netten Mägdelein!«
Weiterhin zornig entgegnete Sander: »Aber das heißt doch gar nichts.«
Ewald grinste: »Das heißt alles, Sander, alles … aber ich hab schon gemerkt, dass es dir die kleine Schlanke mit den blonden Flechten angetan hat. War ja wirklich zum Anbeißen, die Dirne. Also mir wäre sie oben zu flach gewesen, aber das ist bekanntlich reine Geschmackssache.« Wieder grinste Ewald unverschämt und vergnügte sich an Sanders Geschimpfe.
»Sag nicht Dirne zu ihr!«
»Oh, hab ich Dirne gesagt? Entschuldige, mein Freund, gefällt dir Hure, freie Tochter – oder wie sie in Wien sagen – Hübschlerin oder gar Fensterhenne, besser?«
Mit lautem Gepolter warf Sander seinen Sessel nach hinten, nahm Anlauf und stürzte sich mit Wucht auf den völlig überrumpelten Ewald. Beide Jünglinge rollten ineinander verkrallt über die Tafel und nahmen auf ihrer Reise Richtung Fußboden ganze Platten mit Gepökeltem und Gänsebraten und den kunstvoll arrangierten Forellen mit in die Tiefe.
Bernhard von Randegg schaute von seinem weiter entfernten Platz auf die balgenden Jungen und grinste in sich hinein. Schelmisch meinte er zu seinem Sitznachbarn: »Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass es meinem Mündel hier in Wien so gar nicht gefallen würde. Aber ich glaube, inzwischen haben es ihm die Sitten und Gebräuche dieser Stadt angetan, und er beginnt wahrhaftig, sich hier einzuleben! Also das gefällt mir!«
*
Leise bimmelte das Glöckchen am Gürtel der Dirne. Nur dieses unscheinbare Geräusch gab Zeugnis davon, dass sich in dieser nebeligen und nasskalten Nacht, die über die verwinkelten Gassen der Stadt hereingebrochen war, etwas regte. Zu spät war die Stunde, längst hatte der Nachtwächter seine Runde gemacht, und dichte Wolken verschluckten das Mondlicht. Der Bursche fröstelte, und sein Atem gefror in der Luft zu weißen Nebelwolken. Angestrengt hörte er auf das Bimmeln des Glöckchens. Gut, es war nur wenige Schritte vor ihm. Seine Geduld hatte sich bezahlt gemacht, den ganzen Abend schon lief er hinter diesem Weibsstück her, wartete in der Kälte vor der Schenke, bis sie wieder herauskam, hörte ihr lautes, aufreizendes Lachen, die derben Sprüche, die sie den Betrunkenen zum Abschied nachrief, sah, wie die kalte Nachtluft sie verschluckte, als sie sich eilig auf den Heimweg machte. Es war nicht schwer, ihr zu folgen.
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