Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
Nacken und schüttelte sie scherzhaft ein wenig durch. Sie waren auf dem Weg zu ihrer Herberge am Lichtensteg und spazierten gerade die Gasse, nahe den Donauauen entlang. Das Fest hatte lang gedauert, und es war fast Morgen.
»Was war denn so wichtig, dass ihr euch in Forellen und Gänsebraten gewälzt habt?«, bohrte Randegg nach.
»Ach nichts weiter, gnädiger Herr, es war eher … also es war … eine Männersache«, stotterte Ewald, der gegenüber seinem Herrn ein bisschen weniger keck und dafür etwas schüchtern war.
»Aha, eine Männersache also«, wiederholte der Patriarch schmunzelnd und wandte sich an sein Mündel. »Was meinst du dazu, Sander?«
Unverständliches Gemurmel war die Antwort.
»Sander, geht es dir gut, bist du müde, ist dir nicht wohl?« Besorgt blieb Bernhard stehen und wandte sich Sander zu, um ihn sich genauer anzusehen. »Warum hast du denn deinen Umhang über dein Gesicht gezogen. Fröstelt es dich so in der Morgendämmerung?«
Wie unter einem Berg Decken, so gedämpft und leise kam es von Sander: »Nein, nein, keine Sorge, mit mir steht alles zum Besten … nur … bitte, Oheim, zwingt mich nicht, den Umhang vom Gesicht zu nehmen, bloß nicht!«
»Nun, mein Sohn, jetzt bin ich aber doch in Sorge. Was ist mit dir, bist du verletzt, hast du vielleicht gar Zahnschmerzen?«
»Nein, Oheim«, damit zog Sander genervt den dicken Stoff seines Umhanges vom Gesicht und schnaufte mit letzter Kraft, »hier stinkt es nur so erbärmlich, dass ich mich vor lauter Abscheu übergeben könnte.«
Ein lautstarkes Lachen kam von der anderen Seite, Ewald hatte offenbar seine Schüchternheit vergessen und amüsierte sich königlich.
Bernhard von Randegg meinte besorgt: »Ist es so schlimm für dich, Sander?«
»Ach Oheim, jetzt sieh dich doch nur einmal um!«
Als der Patriarch von Aquileia das erwachende Wien genauer musterte, konnte er zum Teil den Abscheu seines Mündels verstehen. Schon allein die Gasse, der sie folgten, trug den wenig anheimelnden Namen ›Unter den Fleischbänken‹. Man konnte unschwer am Geruch erkennen, dass sich hier mindestens zwei Schlachthöfe in unmittelbarer Nähe befanden.
»Ja, hier sind die Fleischer zu Hause«, meinte er entschuldigend mit einer vagen Handbewegung Richtung Schlachthof.
»Aber nicht nur das, hier stinkt es nach Abtritt, als würde man mitten in so einem stehen, Oheim«, kam es zerknirscht und gedämpft von Sander, der schon wieder halb hinter seinem Umhang verschwunden war.
Bernhard, der stets gern in Wien weilte, die Lebensart und die Leute sehr schätzte, musste zugeben, dass sein Neffe nicht unrecht hatte.
»Ich denke, das kommt daher, dass wir neben der Möhrung gehen!«
»Was ist das, die Möhrung?«
»Na das da, was sonst, Sander!«, Ewald deutete auf eine Kloake, in der alles Mögliche und Unmögliche auf den Weg zum nahen Donauarm unterwegs war.
»Das – ist – einfach grauenerregend«, schnaufte Sander.
»Ihnen scheint es zu gefallen«, meinte Ewald unbekümmert und deutete auf ein Rudel Hunde, die sich um die am Rand angeschwemmten Abfälle balgten.
Durfte das denn wahr sein, sah Sander wirklich richtig? Ein hellbrauner, struppiger Kerl hatte gerade ein halb gerupftes Huhn aus der Mörung gezogen, und ein Dunkelbrauner mit kahlen Stellen am Ohr balgte sich mit einem Weißgefleckten um einen Katzenkadaver.
»Ooch, mir ist schlecht, mein Gott, wo kommen denn diese Kreaturen her, aus dem Vorhof der Hölle?«, keuchte Sander.
»Nein«, kam es knapp von seinem Onkel »die hat wohl der Hundsschlager vergessen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Dutzende herrenlose Hunde beim Aufräumen vor der Hochzeit in der Stadt haben dran glauben müssen. Die hier haben es wohl geschafft, davonzukommen.«
Sander schüttelte sich: »Also, das wird mir jetzt zu viel, Onkel, das ist ja grauenhaft. Wie nennen die Wiener das? Den Hundsschlager?«
»Ja, ganz recht. Der hält die Stadt vor streunenden Hunden sauber.«
»Was heißt hier sauber halten, Oheim? Er treibt sie zusammen und bringt sie um! Er erschlägt sie einfach?«, entrüstete sich Sander und blickte auf die räudigen, knurrenden und stinkenden Kreaturen.
»Mein lieber junger Mann. Mir scheint, ich habe dich bisher zu viel geschont und dich zu sehr an der Unbill des Lebens vorbeigeführt.«
»Aber in Lucca …«, setzte Sander an und wurde von seinem Onkel unterbrochen.
»In Lucca ist es genauso. Wo viele Menschen leben, ist auch viel Dreck, wo gegessen wird, da wird auch
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