Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
Branntwein aus der Truhe und gib ihr einen Schluck.«
Yrmel tat wie geheißen und hielt Gretlin den Krug an die Lippen, sodass die gar nicht anders konnte, als einen Schluck zu machen. Eine Weile lang hörte man nichts als Husten in der Küche.
»So, jetzt atme tief durch, Mädel, versuch dich zu erinnern und sag mir ganz genau, wen du da gesehen hast.«
»Nicht viel, nur einen Schatten, der sich über die andere Gestalt beugte.«
»Hast du irgendetwas gehört, außer dem Glöckchen?«
»Ein so komisches Surren und Zischen.«
»Und dann?«
»Dann ist der große Schatten einfach weggelaufen.«
»Warum?«
»Weil … ich weiß nicht, aber ich glaube, weil dann die Dorthe mit einer Kundschaft vorbeigekommen ist.«
»Hast du mit der sprechen können?«
»Nein, ich hab mich versteckt, der Mann, der bei ihr war, war schon ziemlich betrunken, und ich hatte so Angst.«
»Zu Recht«, nickte Johanna. »Was geschah dann?«
»Die Dorthe hat so geweint und ist dann auch weggelaufen!«
»Und du?«
»Ich hab mich herangeschlichen und gesehen, dass Elsbeth da liegt, ganz kalt war sie, und da hab ich mich zu ihr gelegt, um sie zu wärmen. Das hat sie bei mir auch immer so gemacht, wenn mir kalt war in der Nacht.«
Betroffen schwieg Johanna eine Weile. Wieder legte sich die unheilvolle Stille auf ihr Gemüt. Wieder klopfte der Tod an die Tür. Sie schüttelte sich, um dann leise weiter zu fragen.
»Dann hat dich die Stadtguardia gefunden?«
»Ja, gegen Morgen. Aber zuerst waren da noch drei Männer.«
Erschrocken fragte Johanna: »Drei Männer. Was haben die gemacht?«
»Ach die«, winkte Gretlin ab, »zwei sind gar nicht nähergekommen, und der eine, der Alte, der hat mich angesehen und ist weggelaufen.«
»Dem Himmel sei Dank!«
»Warum?«
»Na, weil dir nichts geschehen ist, Gretlin!«
»Aber mir konnte ja nicht passieren, ich …«
»Ja, ich weiß«, unterbrach sie Johanna unwirsch, »du hattest ja dein gelbes Tüchel als Schutz.«
»Nein, das mein ich nicht. Ich hab ja meinen Hund …« Erschrocken setzte sich Gretlin auf. »Wo ist er nur?«
Yrmel zeigte beruhigend auf den Platz neben dem Ofen, wo sich ein verdrecktes Fellbündel zusammengerollt hatte und schnarchte. Missbilligend schnaubte Johanna, hielt aber des lieben Friedens willen ihren Mund. Zu anstrengend war es für dieses Kind, von den Ereignissen zu berichten, da sollte der Hund einmal Nebensache bleiben.
»Gretlin, wie alt bist du eigentlich?«, Johanna strich dem Mädchen eine blonde Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn.
»Ich bin zwölf!«
»Hast du außer Elsbeth noch Familie?«
»Nein. Ich hatte nur meine Mutter, also die Elsbeth. Ich hab nur nie Mutter zu ihr gesagt, das haben wir so ausgemacht. Keiner sollte davon wissen!«
»Ja, mein Kind!« Hannerl seufzte, viele Dirnen, die Kinder hatten, mussten sie vor der Öffentlichkeit verstecken, Mutterschaft war schlecht fürs Geschäft. Besorgt fuhr sie fort: »Ist da noch jemand, den wir benachrichtigen sollen? Gibt es jemanden, der sich vielleicht Sorgen um dich macht?«
Laut schrie Gretlin auf, riss sich die Essigwickel von den Beinen und schleuderte sie der erschrockenen Johanna ins Gesicht.
»Du verstehst nicht, gar nichts weißt du. Elsbeth ist nicht mehr, ich habe niemanden. Keine Mutter, keinen Vater, keine Geschwister. Ich hab gar niemanden. Ich weiß ja nicht einmal, wo ich hin soll!«
Weinend kroch das Mädchen zum Platz beim Ofen, kauerte sich neben die Hündin und war weder von Johanna noch von Yrmel zu bewegen, sich wieder auf ihren Strohsack zu legen. Endlich, nach fast endlosem Schluchzen, war Gretlin eingeschlafen. Yrmel legte die grobe Decke über ihre Beine und deutete Johanna, dass sie selbst sich auf den Strohsack legen würde, um über Nacht auf das Mädchen aufzupassen. Dankbar nickte Johanna und machte Anstalten, in ihr Schlafgemach zu gehen, eine kleine Kammer neben der Küche. Als sie sich auf dem einfachen Holzkasten ausstreckte, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass es gar keine Fürstenhochzeit gegeben hätte in Wien, und dass alles so normal wäre, wie vor wenigen Stunden noch.
*
Gleich nach dem Anhäufen von Besitz und Pfründen war es eine seiner Leidenschaften, in den frühen Morgenstunden durch die Stadt zu wandern, durch seine Stadt. Denn jetzt endlich hatte sie sich, so wie er selbst auch, von den Fesseln der aufgezwungenen Fröhlichkeit, der verschwenderischen Feierlaune, der überschäumenden Wollust und den dekadenten Gelagen
Weitere Kostenlose Bücher