Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
ruhigen Morgen auf der Stirn hervortreten ließen. Jener Herren, die unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit ungebremsten Einfluss in dieser Stadt nahmen. Er durfte gar nicht daran denken, wie schwer ihm die Bürger Wiens sein Leben machten. Keine Entscheidung wurde gebilligt, ohne dass der Innere Rat seinen Senf dazugab und alles und jedes in Frage stellte. Was für unmögliche Zustände in dieser Stadt, wo der Pöbel, also einfache Handwerker, ein Mitspracherecht hatte! Unerhört! Er schnaubte missbilligend und verbot sich weitere Gedanken daran, denn er wollte diesen Morgen, der so ganz ihm und seiner Stadt gehörte, nicht durch schlechte Vorstellungen verderben. Doch weit gefehlt zu glauben, dass ihm ein Stück Muße beschieden war! Als er zum Petersfreithof gelangte, wurde er eines Besseren belehrt. Längst nicht mehr gehörte Wien nur ihm allein. Rund um die kleine, dunkle Peterskirche mit dem niederen Schiff und dem zum Turm emporragenden Vorbau, war bereits Leben. Ihr Innenraum, den man nur durch drei steile abwärtsführende Stufen betreten konnte, war erfüllt mit dem Gemurmel der Betenden. Rings um die Kirche waren Kaufläden angebaut, wo Schuhflicker, Obstler und Ölhändler ihre ärmlichen Stände und Buden betrieben und, wie es ihm vorkam, schon eifrig am Werk waren. Der Lärm des geschäftigen Heranschleppens von Waren, des Zurufens und Grüßens von Gefährten und des Ausschimpfens und Kommandierens von Mägden und Knechten zeugte jedenfalls davon, dass viele Menschen hier bereits ihr frühes Tagwerk begonnen hatten.
»Gesindel elendes«, seine schmalen Lippen formten ein Schimpfort nach dem anderen und konnten dennoch nicht annähernd seinen unendlich großen Ekel vor dem gemeinen Volk ausdrücken. Kein Wort konnte dem gewaltigen, ihn selbst fast schon verschlingenden Hass vor der Gewöhnlichkeit, der Dummheit und dem Schmutz dieser Masse an ungewaschenen, von Urtrieben gelenkten Körpern gerecht werden. Viel lieber beschäftigte er sich mit den schönen Dingen. Mit Kunstwerken, Gemälden, Skulpturen. Sie waren so schön, so sauber, so rein. Doch der Schmutz der Alltäglichkeit holte ihn ein, Schritt für Schritt. Mit Abscheu sah er auf den Boden, nur um eine schmale Fensteröffnung an der Peterskirche, die zu einem unterirdischen Gewölbe führte, zu sehen, in die die Wiener, so wusste er aus zahlreichen Beobachtungen, abgetragene Leinwand zum Verbinden der Wunden für Spitäler hineinzuwerfen pflegten. Er mochte keine Kranken und Alten, er fürchtete ihre faulen Ausdünstungen, ihren schlechten Atem und ihren gierigen Blick nach Leben. Wie wohl taten ihm dagegen die schönen Künste. Längst musste er sich nicht mehr damit begnügen, Artefakte einfach nur anzugaffen wie das gemeine Volk oder sie zu bewundern wie der niedere Adel. Nein, er hatte so viel Geld, dass er diese ganz besitzen konnte, nur für sich allein, und sie betrachten konnte, so lang und so oft er wollte. Ein wohliger Schauer lief seinen Rücken hinab, als er an seine letzte Errungenschaft, die Statue des heiligen Georg als Drachentöter, dachte, die eigentlich für den Dom vorgesehen war, er aber im letzten Moment noch dem Domkapitel abschwatzen konnte. Wie warm und kühl zugleich war das Holz der Eiche, wie ausdrucksstark und entschlossen das Gesicht des Heiligen und wie bestialisch dargestellt der Drache, als könnte man seinen Gifthauch riechen. Spielte ihm die Erinnerung einen Streich, begab er sich jetzt wirklich in die Untiefen der Verwirrtheit? Verschreckt drehte er sich um und sah sich den Mistbauern gegenüber, einfache Leute, die den Müll der Hochzeitsfeierlichkeiten zu dieser frühen Stunde zusammenkehrten. Zerborstene Fässer, Tonscherben, verendete Tiere, Haufen von Schweinemist und Rossäpfel auf ihre Karren luden, um damit die Rotenturmstraße hinunter zur Donau zu fahren, wo sie ihre stinkende Fuhre in einen der schneller dahinfließenden Flussarme kippen würden. Fichtenstein fasste sich an die Brust, auf der ein Felsbrocken zu liegen schien, so eng wurde es ihm. Er fühlte sich jetzt endgültig gestört und in seiner morgendlichen Versunkenheit mit Dreck besudelt. Zornig dachte er nach, was er sich Gutes tun könnte, um diesen Tag für ihn noch zu retten und diesen schön und erbaulich machen zu können. Jetzt, wo der Herzog, dessen Frau und die ganze Schar an Speichelleckern endlich für eine Weile verschwanden! Seine Wahl fiel, wie schon so oft, auf Sankt Stephan, jenen Ort, der ihn immer wieder zu trösten
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