Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
Scheiben zu schneiden. Dabei beugte sie ihre schlanke, fast hagere Gestalt über den Arbeitstisch, spitzte ihre schmalen Lippen und blies sich immer wieder auf ihre Fingerspitzen, wenn die Eier dann doch zu heiß wurden. Zwei Strähnen ihres dunklen, glatten Haares hatten sich aus der Haube gelöst und wurden schnell hinter etwas zu groß geratenen Ohren versteckt. Braune Augen mit langen Wimpern und starken Augenbrauen starrten müde auf die Eierschalen, und die Flügel einer geraden, langen Nase bebten. Auch Yrmel hatten die Ereignisse rund um Gretlin mitgenommen. Johanna erkannte dunkle Ringe unter den Augen und Falten, die tiefer eingegraben als sonst schienen, zwischen Nase und Mundwinkel. Immer wieder sah eine der beiden Frauen besorgt zu Gretlin, die nach ihrem Schwächeanfall behelfsmäßig auf einen Strohsack am Boden neben dem Herd gebettet worden war und in einen unruhigen, von gestammelten Worten, Zucken der Arme und Beine unterbrochenen Erschöpfungsschlaf gefallen war. Hannerl, die Essig, Senf und etwas Honig zu einer dicken Soße schlug, ging zum Salzfass, um sich einen Löffel davon zu holen und beugte sich dabei halb zu Gretlin. Besorgt richtete sie sich wieder auf, salzte ihr Honig-Essig Gemisch und schüttelte bedenklich den Kopf. Yrmel, die zugesehen hatte und bedauernd auf die Kleine zu ihren Füßen sah, nickte nur. Längst kannten sich die beiden Frauen so gut, dass keine Worte mehr nötig waren. Yrmel kamen sowieso keine über die Lippen, und Johanna war froh, auch einmal schweigen zu dürfen. Mit unendlich traurigen Augen ließ sie den Soßenlöffel sinken und sah zu Yrmel. Als wäre es gestern gewesen, sah sie dieses kleine, misshandelte, zerrrupfte Küken, das sie am Weg vom Kienmarkt im Morgengrauen aufgelesen hatte. Yrmels Auge war blau geschlagen gewesen, den Arm konnte sie nicht bewegen, weil ihre Schulter ausgerenkt war und auf ihrem Hals waren eindeutig Würgemale zu sehen. Johanna nahm sie kurzerhand mit, nein falsch, die Kleine folgte ihr im Abstand von zwei Pferdelängen. Immer wenn sie sich nach ihr umdrehte, versteckte sie sich in der nächsten Hauseinfahrt. Erst am Abend, als das Kind einsehen musste, dass es nicht die Nacht über in einer Toreinfahrt kauern konnte, kam es mit kleinen vorsichtigen Schritten über die versteckte Gartenpforte auf der Rückseite des Klosters, die Johanna ihr wohlmeinend einen Spalt offen gelassen hatte, in die Küche getrippelt. Nach einem Becher warmer Milch begann die Kleine, einem streunenden, getretenen Kätzchen gleich, langsam Zutrauen zu fassen. Erst Stunden später ließ sie es zu, dass sich Johanna um ihre Wunden kümmerte, alles schweigend, ohne einen Laut. Aus plötzlich aufwallendem Mitleid heraus strich Johanna Yrmel mit einer ruppigen Handbewegung über die Haube, um dann sogleich wieder geschäftig in der Soße zu rühren, als wäre nichts geschehen. Yrmel stellte eine große gusseiserne Pfanne auf den Herd, tat etwas Schweineschmalz hinein und drückte dann ganz kurz die Hand von Johanna. Mehr Gesten der Zuneigung waren nicht zu erwarten und mehr bedurfte es auch nicht. Johanna wusste, dass sie den Grund für Yrmels Schweigen wohl nie erfahren würde, zu groß und zu mächtig war das Leid, das man ihr angetan hatte, um es in Worte fassen zu können. So versorgte sie damals die Wunden des Mädchens in voller Gewissheit, dass sie nur die äußeren behandeln und lindern konnte, nicht die inneren. Sie gab Salbe auf das Auge, bangagierte die Schulter, versorgte die Schürfwunden und versuchte, das Blut, das dem Mädchen zwischen den Beinen herabtropfte und das es um jeden Preis zu verbergen versuchte, nicht zu sehen. All das lag unausgesprochen zwischen den beiden, wurde wieder hochgespült von den Vorkommnissen des heutigen Tages, wurde wieder greifbar in der feingliedrigen, mageren Gestalt der blonden Gretlin, die sich nun auf ihrem Strohsack zu regen und laut zu stöhnen begann.
»Na, dann müssen die Eier in Senfsoße noch ein wenig warten!« Hannerl wischte sich die Finger an einem Küchentuch ab, beugte sich zu der mit einer groben Decke umhüllten Gestalt und fasste ihr an die Stirn. Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge und blickte zu Yrmel auf. Diese nickte wissend und begann, grobe Leinentücher aus einer Truhe zu holen. Dann schüttete sie Wasser in einen Holzbottich, und Johanna gab einen kräftigen Schuss Essig hinzu. Yrmel tränkte die Lappen im Bottich. Inzwischen hatte Johanna Gretlin auf den Rücken gedreht und sie
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