Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
und fand sich gleichsam am Nabel der Stadt, auf dem Hohen Markt, wieder. Fast wäre er in den Pranger gelaufen. Gerade noch schaffte er es, einer Gruppe lärmender Kürschner und Wildwerker auszuweichen, die hier, wie so viele andere Handwerker auch, ihr Zunfthaus hatten. Doch auch die Hersteller von Buckeltragkörben, die in Wien Kraxen genannt wurden, waren schon unterwegs, die Schreiner, die Taschner und die Leinwandhändler. Kein Wunder, dass hier so viel los war, dachte Sander, befand er sich doch in unmittelbarer Nähe der Schranne, die die Gerichtsbarkeit und das Gefängnis der Stadt beherbergte. Das war bitter notwendig, dachte er weiter, denn nicht weit sah er auf einer kleinen Bodenerhebung den ›Silberbühel‹, die Geldwechsler hinter ihren aufgestellten Tischen stehen und die Beutelschneider in respektvollem Abstand um sie herumschleichen. Bisher dachte Sander, dass ihm nach der grausamen Begegnung nachts nicht so leicht wieder etwas erschüttern konnte. Aber er täuschte sich, als er in einem Holzkäfig vor der Schranne einen grün und blau geprügelten Mann eingepfercht sah. Rund um ihn stand der Pöbel, bedachte ihn mit Schmähworten und bespuckte ihn. Einige der ganz Dreisten hatten bereits Steine in den Händen und peinigten den Gefangenen noch mehr. »Ziemlich ungemütlich im Narrenköttl, was?«, schnappte Sander aus dem Munde eines derben Mannes auf.
»Hättest sie net umbracht, du stinkendes Stück Dreck du«, japste ein fettes Weib und spuckte grünen Schleim auf den vor Schmerzen wimmernden Mann im Käfig.
»Vögeln ja, aber strangulieren nein, hast das net gwußt, du Drecksau«, damit landete wieder der Stein eines wütenden Mannsbildes im Narrenköttl. Sanders Neugier kämpfte mit seinem Abscheu und gewann. Er sprach einen der Umstehenden, der seiner Kleidung nach wohl ein Lodenwirker war, an: »Werter Herr, was hat der da drinnen«, damit zeigte er auf den blutüberströmten Gefangenen, »denn angestellt?«
»Also, Sie sind sicher net von da. Sonst wüssten Sie es schon, wovon ganz Wien spricht.« Bedächtig wiegte der Lodenwirker den Kopf und schien nachzudenken, ob er einem Zuagrasten, also einem, der nicht aus Wien stammte, wohl Einzelheiten anvertrauen sollte. Schließlich siegte aber die den Wienern angeborene Klatschsucht, und er lehnte sich ganz nahe zu Sander, dass dieser in den vollen Genuss eines penetranten Mundgeruchs kam, der von Bratheringen zum Frühstück stammte, und flüsterte Sander ins Ohr: »Das ist die Bestie, die die Hure auf dem Gewissen hat. Das ist der Dreckskerl, der sie erwürgt und unter den Fleischbänken in die Gosse gekippt hat. Das ist der, den man dafür hängen wird, gleich, wenn wir mit ihm, diesem Stück Scheiße, hier fertig sind. Denn da kennen wir nix in Wien, wir passen auf unsere Weiber auf, besonders auf die mit dem gelben Tüchel. Auf die mehr als auf unsere Ehefrauen, denn wir brauchen unsere Dirnen, dass wir unsere schiachen Weiber zu Hause besser aushalten!« Dröhnend lachte der Lodenwirker, klopfte Sander kameradschaftlich in die Seite und sah mit Erstaunen, wie sich der Jüngling mitten am Hohen Markt vor allen Leuten erbrach.
»Also die Welschen halten nix aus. A bisserl a Blut, a bisserl a Schreierei und schon speiben sie uns die Stadt voll. Solche Seicherln, meiner Seel«. Damit ging er mit missbilligendem Zungenschnalzen seines Weges Richtung Zunfthaus und freute sich, dass er seinen Kameraden und allen anwesenden Tuchbereitern so eine lustige Geschichte von einem kotzenden Jüngling, der sich schon in aller Frühe sein feines Wams und seine teuren Beinlinge versaut hatte, erzählen konnte.
Sander atmete tief durch, als er sicher war, dass er seinen gesamten Mageninhalt losgeworden war, und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Er konnte nicht sagen, was die plötzliche Übelkeit wirklich ausgelöst hatte. Der Gestank der schwitzenden Menschen um ihn, der üble Atem des Lodenwirkers, die jämmerliche Kreatur im Käfig oder die Erinnerung an den Vorfall in der Nacht. Letzteres hat den Ausschlag gegeben, dachte er und machte sich schnell davon, um dem Gespött der Leute, die Zeuge seiner Übelkeit geworden waren, zu entkommen. Als er den Fischhof passiert hatte, der einen weiteren Anschlag auf seine schon bedienten Magennerven bedeutete, bog er schnell in die Wildwercherstraße ein. Sander glaubte, seinen Augen nicht zu trauen, als ihm der Passauer Bischof mitsamt seinem Gefolge entgegenkam. Schnell noch wollte er sich in die
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