Das Geld - 18
Faulen brachte. Das vergiftende, zerstörerische Geld wurde zum Gärstoff jeglichen sozialen Wachstums, diente als Humusboden für die großen Projekte, deren Ausführung die Völker einander näherbringen und die Erde befrieden sollte. Sie hatte das Geld verflucht, jetzt empfand sie vor ihm scheue Bewunderung: war es nicht die einzige Kraft, die ein Gebirge abtragen, einen Meeresarm zuschütten, die Erde endlich bewohnbar machen kann für die Menschen, die, von der schweren Arbeit befreit, hinfort nur noch Maschinen zu bedienen hätten? Alles Gute hatte seinen Ursprung im Geld, das zugleich auch alles Böse schuf. Und sie war ihrer selbst nicht mehr sicher; bis ins Innerste erschüttert, war sie schon entschlossen, nicht abzureisen, weil der Erfolg im Orient durchschlagend schien und weil die Schlacht in Paris stattfand; aber sie konnte sich trotzdem nicht beruhigen, weil ihr noch immer das Herz blutete.
Frau Caroline stand auf, trat an eines der Fenster, die auf den Garten des Palais Beauvilliers gingen, und drückte die Stirn gegen die Scheibe. Die Nacht war hereingebrochen, sie nahm nur noch einen schwachen Lichtschein in dem abgelegenen kleinen Zimmer wahr, das die Gräfin mit ihrer Tochter bewohnte, um nichts schmutzig zu machen und um in den anderen Räumen nicht heizen zu müssen. Undeutlich konnte sie hinter den Musselinvorhängen das Profil der Gräfin erkennen, die eigenhändig ein altes Kleidungsstück ausbesserte, während Alice Aquarelle malte, die sie dutzendweise hinpfuschte und heimlich verkaufen mußte. Ein Unglück war ihnen zugestoßen, ihr Pferd war krank geworden, so daß sie zwei Wochen lang ans Haus gefesselt waren, weil sie sich hartnäckig weigerten, zu Fuß auszugehen, und die Ausgabe für eine Mietsdroschke scheuten. Aber in ihrem so heldenhaft verborgenen Ungemach hielt sie von nun an eine Hoffnung aufrecht und schenkte ihnen noch größeren Mut: die ständige Hausse der Universelle-Aktien; ihr Gewinn war bereits recht beträchtlich, und sie sahen ihn funkeln und als Goldregen niedergehen, wenn sie eines Tages zum höchsten Kurs verkaufen würden. Die Gräfin versprach sich ein ganz neues Kleid und träumte davon, in den Wintermonaten viermal im Monat ein Diner zu geben, ohne deshalb vierzehn Tage lang von Wasser und Brot leben zu müssen. Alice lächelte nicht mehr so erheuchelt gleichgültig, wenn ihre Mutter von der Heirat sprach, sie hörte ihr mit einem leichten Zittern der Hände zu und begann zu glauben, daß dieser Wunsch vielleicht in Erfüllung gehen, daß auch sie einen Mann und Kinder haben könnte. Und während Frau Caroline die kleine Lampe brennen sah, die ihnen leuchtete, fühlte sie Rührung und eine große Ruhe in sich aufsteigen, betroffen von der Beobachtung, daß abermals das Geld, nichts als die Hoffnung auf Geld, diese armen Geschöpfe glücklich machen konnte. Wenn Saccard ihnen Reichtum verschaffte, würden sie ihn dann nicht segnen, bliebe er dann nicht für sie beide barmherzig und gütig? Die Güte war also überall zu Hause, sogar bei den schlimmsten Übeltätern, die immer noch zu jemand gut sind, für die sich inmitten der allgemeinen Verwünschung immer noch vereinzelte demütige Stimmen erheben, die ihnen danken und sie verehren. Bei dieser Überlegung schweiften ihre Gedanken zum »Werk der Arbeit« ab, während ihre Augen blind in die Finsternis des Gartens starrten. Tags zuvor hatte sie dort im Auftrage Saccards anläßlich eines Jahrestages Spielzeug und Bonbons verteilt, und bei der Erinnerung an die lärmende Freude der Kinder mußte sie unwillkürlich lächeln. Seit einem Monat war man mit Victor nicht mehr so unzufrieden, sie hatte bei der Fürstin dʼOrviedo, mit der sie zweimal in der Woche lange über das Haus sprach, zufriedenstellende Noten gelesen. Und wie plötzlich dieses Bild Victors vor ihr auftauchte, wunderte sie sich, daß sie ihn in ihrem Verzweiflungsanfall, als sie abreisen wollte, vergessen hatte. Hätte sie ihn denn so im Stich lassen und das gute Werk, das sie unter soviel Mühen vollbracht hatte, gefährden können? Immer mächtiger stieg aus der Dunkelheit der großen Bäume eine süße Empfindung auf, eine Welle des unaussprechlichen Verzichts, der göttlichen Duldung, die ihr das Herz weitete, während drüben die arme kleine Lampe der Damen Beauvilliers schimmerte wie ein Stern.
Als Frau Caroline an ihren Tisch zurückkehrte, überlief sie ein leichter Schauer. Was war das? Sie fror! Und das stimmte sie heiter, sie, die
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