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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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möglich, sich hin und wieder einmal unter irgendeinem Vorwand in die Rue de Londres zu begeben. Sie lebte jetzt allein im Zeichensaal und sah Saccard nur noch abends. Er hatte seine Wohnung dort behalten, aber das ganze Erdgeschoß sowie die Geschäftsräume im ersten Stockwerk blieben verschlossen; die Fürstin dʼOrviedo, die im Grunde froh war, daß sie wegen dieser Bank, wegen dieses Geldladens in ihrem Hause keine heimlichen Gewissensbisse mehr zu haben brauchte, unternahm bei ihrer gewollten Unbekümmertheit um jeglichen, selbst rechtmäßigen Gewinn nicht einmal den Versuch zu vermieten. Das leere Haus, das von jedem vorbeifahrenden Wagen widerhallte, ähnelte einem Grab. Frau Caroline vernahm nur noch durch die Decke hindurch das eisige Schweigen der geschlossenen Schalter, von denen zwei Jahre lang unaufhörlich der leise Klingklang des Goldes zu ihr gedrungen war. Die Tage erschienen ihr dadurch drückender und länger. Dabei arbeitete sie viel, immer in Anspruch genommen durch ihren Bruder, der ihr aus dem Orient Schreibarbeiten schickte. Nur manchmal hielt sie in ihrer Arbeit inne, horchte, von instinktiver Angst beschlichen und in dem Drang zu wissen, was unten vorging; aber nichts, kein Hauch, ausgelöscht die unbewohnten, leeren, finsteren, zweimal abgeschlossenen Säle. Da fröstelte sie leicht, und sie vergaß sich ein paar Minuten voller Unruhe. Was machte man in der Rue de Londres? Tat sich nicht genau in dieser Sekunde der Riß auf, der das Gebäude zum Einsturz bringen sollte?
    Noch unbestimmt und leise verbreitete sich das Gerücht, Saccard bereite eine neue Kapitalerhöhung vor. Von hundert Millionen wolle er es auf hundertfünfzig aufstocken. Es war eine Stunde besonderer Erregung, die Schicksalsstunde, da alle glücklichen Vorteile des Kaiserreiches, die umfangreiche Bautätigkeit, die die Stadt umgewandelt hatte, die rasende Geldzirkulation, die wütenden Luxusausgaben, ein hitziges Spekulationsfieber erzeugen sollten. Jeder wollte seinen Anteil, riskierte auf dem Spieltisch sein Vermögen, um es zu verzehnfachen, um zu genießen wie so viele andere, die über Nacht reich geworden waren. Die Fahnen der Ausstellung, die im Sonnenlicht knatterten, die Illuminationen und die Musik auf dem Champs- de-Mars88, die vielen Menschen aus aller Welt, die die Straßen überfluteten, berauschten Paris vollends in einem Traum von unerschöpflichem Reichtum und unumschränkter Herrschaft. An den hellen Abenden stieg aus der riesigen Feststadt, die in exotischen Restaurants zu Tische saß und sich in einen kolossalen Jahrmarkt verwandelt hatte, wo das Vergnügen freimütig unter den Sternen feilgeboten wurde, der höchste Taumel des Wahnsinns auf, die unbändige, gefräßige Gier der vom Untergang bedrohten Weltstädte. Und so gut hatte Saccard mit seinem Gespür eines Beutelschneiders diese krankhafte Sucht herausgefühlt, dieses Bedürfnis der Leute, ihr Geld zum Fenster hinauszuwerfen, ihre Taschen und Körper zu leeren, daß er den Reklamefonds verdoppelt hatte und Jantrou anfeuerte, so aufreizend wie nur möglich die Trommel zu rühren. Seit der Eröffnung der Ausstellung wurden in der Presse täglich alle Glocken für die Banque Universelle geläutet. Jeder Morgen brachte seinen Paukenschlag, um die Leute immer wieder drauf zu stoßen: eine Notiz über ein außerordentliches Lokalereignis, das Mißgeschick einer Dame, die in einer Droschke hundert Aktien hatte liegenlassen; ein Auszug aus einem Reisebericht über Kleinasien, in dem erklärt wurde, daß Napoleon das Haus in der Rue de Londres vorausgesagt habe; ein großer Leitartikel, in dem aus politischer Sicht die Rolle dieses Hauses hinsichtlich der nahe bevorstehenden Lösung der Orientfrage beurteilt wurde – ganz zu schweigen von den laufenden Meldungen in den Fachzeitschriften, die alle angeworben waren und in Reih und Glied marschierten. Jantrou hatte die Idee gehabt, mit den kleinen Finanzblättern Jahresverträge zu schließen, die ihm in jeder Ausgabe eine Spalte sicherten; er benutzte diese Spalte höchst fruchtbar mit erstaunlichem Einfallsreichtum und ließ sich sogar zu Angriffen hinreißen, um hinterher den Triumph des Sieges für sich zu haben. Die famose Broschüre, die er sich ausgedacht hatte, war in einer Auflage von einer Million Exemplaren unter die Leute gebracht worden. Auch seine neue Agentur hatte er gegründet, die sich unter dem Vorwand, einen Börsenbericht an die Provinzzeitungen zu senden, in allen wichtigen Städten

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