Das Geld - 18
seinem Sohn geteilt, seinen Sohn verkauft, seine Frau verkauft, all jene verkauft, die ihm in die Hände gefallen waren; er hatte sich selbst verkauft, und er würde auch sie verkaufen, er würde ihren Bruder verkaufen, würde aus ihren Herzen und Hirnen Geld schlagen. Er war nur noch ein Geldmacher, der die Dinge und Menschen in die Schmelze warf, um daraus Geld zu schlagen. In einem kurzen Moment der Hellsichtigkeit sah sie die Banque Universelle aus allen Ecken und Enden Geld schwitzen, einen See, einen Ozean von Geld, in dessen Mitte das Unternehmen plötzlich mit schrecklichem Getöse steil in die Tiefe sank. Ach, das Geld, das entsetzliche Geld, das alles beschmutzt und verschlingt!
Mit einer zornigen Bewegung fuhr Frau Caroline in die Höhe. Nein, nein! Wie ungeheuerlich! Es war vorbei, sie durfte nicht länger bei diesem Manne bleiben. Seinen Verrat hätte sie ihm verziehen, aber ihr ekelte vor all dem früheren Unflat, Schrecken packte sie angesichts der Drohung möglicher künftiger Verbrechen. Ihr blieb nur noch, auf der Stelle abzureisen, wenn sie nicht selbst besudelt, unter den Trümmern zermalmt werden wollte. Und sie fühlte das Verlangen, weit, sehr weit wegzufahren, in den Orient zu ihrem Bruder, mehr um zu verschwinden als um ihn zu warnen. Abreisen, sofort abreisen! Es war noch nicht sechs Uhr, sie konnte den Schnellzug sieben Uhr fünfundfünfzig nach Marseille nehmen, denn Saccard wiederzusehen schien über ihre Kräfte zu gehen. Bevor sie sich in Marseille einschiffte, würde sie dort ihre Einkäufe erledigen. Nur mit ein wenig Wäsche im Koffer, mit einem Kleid zum Wechseln konnte sie abreisen. In einer Viertelstunde wäre sie soweit. Da sah sie ihre Arbeit auf dem Tisch liegen, die angefangene Denkschrift, und hielt einen Augenblick inne. Wozu das mitnehmen, wenn doch alles zusammenbrechen mußte, weil es an der Wurzel verfault war? Und trotzdem fing sie an, die Schriftstücke und die Notizen sorgfältig zu ordnen; als gute Hausfrau war sie daran gewöhnt, nichts in Unordnung zurückzulassen. Und während der wenigen Minuten, die diese Arbeit beanspruchte, legte sich das erste Fieber ihres Entschlusses. Im vollen Bewußtsein ihres Tuns ließ sie einen letzten Blick durch das Zimmer schweifen, bevor sie es verließ, als noch einmal der Kammerdiener erschien und ihr einen Packen Zeitungen und Briefe aushändigte.
Mechanisch warf Frau Caroline einen Blick auf die Adressen und entdeckte in dem Haufen einen an sie gerichteten Brief ihres Bruders. Er kam aus Damaskus, wo Hamelin sich wegen der geplanten Anschlußstrecke nach Beirut aufhielt. Zur Lampe gebeugt, fing sie an, den Brief im Stehen rasch zu überfliegen, und nahm sich vor, ihn später im Zug noch einmal langsam zu lesen. Aber jeder Satz hielt sie auf, sie konnte kein einziges Wort mehr überspringen, schließlich setzte sie sich wieder an den Tisch und gab sich ganz der begeisternden Lektüre dieses langen, zwölfseitigen Briefes hin.
Hamelin hatte gerade einen seiner heiteren Tage. Er dankte seiner Schwester für ihre letzten guten Nachrichten aus Paris und sandte ihr noch bessere von dort unten, denn alles lief nach Wunsch. Die erste Bilanz der Allgemeinen Gesellschaft der vereinigten Dampfschiffahrtslinien ließ sich prachtvoll an, die neuen Frachtdampfer brachten große Einnahmen dank ihrer vollkommenen Ausrüstung und ihrer größeren Geschwindigkeit. Scherzend schrieb er, es sei ein Vergnügen, so zu reisen, und er schilderte, wie die Häfen an der Küste von Leuten aus dem Abendland überschwemmt wurden; er könne keinen Ausflug über die einsamen Pfade machen, berichtete er, ohne auf irgendeinen Pariser vom Boulevard zu stoßen. Es war wirklich so, wie er vorausgesehen hatte, der Orient war Frankreich erschlossen. Bald würden wieder Städte an den fruchtbaren Hängen des Libanon emporwachsen. Aber vor allem entwarf er ein sehr farbiges Bild von der abgelegenen Schlucht im Karmel, wo der Abbau der Silbererzvorkommen in vollem Gange war. Der wilde Ort wurde menschlich, in dem riesigen Felseinsturz, der das Tal nach Norden zu versperrte, hatte man Quellen entdeckt. Äcker wurden angelegt, das Getreide trat an die Stelle der Mastixsträucher. In der Nähe des Bergwerks war schon ein ganzes Dorf erbaut worden, zunächst einfache Hütten aus Holz, ein Barackenlager als Unterkunft für die Arbeiter, jetzt kleine Steinhäuser mit Gärten, der Beginn einer Stadt, die wachsen sollte, solange die Erzgänge fündig blieben. Es lebten
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