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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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geduldet und lebte dort: ein ungeheuerlicher, an Blutschande grenzender Ehebruch?
    »Renée«, fuhr Maxime sehr leise, gleichsam gegen seinen Willen, fort, »war nur ein paar Jahre älter als ich …«
    Er hatte den Kopf gehoben und blickte Frau Caroline an. Und ganz plötzlich, ohne zu überlegen, hatte er zu dieser Frau, die ihm so gesund und so vernünftig vorkam, ein so unsinniges Vertrauen, daß er ihr die Vergangenheit erzählte, nicht in zusammenhängenden Sätzen, sondern fetzenweise – lückenhafte, gleichsam unfreiwillige Geständnisse, die sie zusammenfügen mußte. Befriedigte er einen alten Groll auf seinen Vater, jene Rivalität, die zwischen ihnen gewesen war, die sie heute noch einander entfremdete und keine gemeinsamen Interessen aufkommen ließ? Er klagte ihn nicht an, schien des Zorns unfähig; aber sein leises Lachen schlug in ein hämisches Gelächter um, er sprach über diese Greuel mit der bösen, heimtückischen Freude, ihn beschmutzen zu können, indem er so viele Gemeinheiten aufwühlte.
    Und so erfuhr Frau Caroline des langen und breiten die schreckliche Geschichte: wie Saccard seinen Namen verkaufte und für Geld ein verführtes Mädchen heiratete; wie Saccard durch sein Geld, durch sein verrücktes, glänzendes Leben dieses kranke große Kind vollends zugrunde richtete; wie Saccard in einer Geldverlegenheit von ihr eine Unterschrift erhielt, wie er im eigenen Hause die Liebe zwischen seiner Frau und seinem Sohn duldete und als gütiger Patriarch, der anderen ihr Vergnügen läßt, beide Augen zudrückte. Das Geld, der König Geld, der Gott Geld stand über dem Blut und über den Tränen, in Seiner unendlichen Macht höher verehrt als die eitlen menschlichen Bedenken! Und in dem Maße, wie das Geld zunahm, wie sich Saccard Frau Caroline in dieser satanischen Größe offenbarte, packte sie eisig und grauenvoll wahrhaftiges Entsetzen bei dem Gedanken, daß nun sie nach so vielen anderen diesem Ungeheuer gehörte.
    »Das warʼs!« schloß Maxime sein Geständnis. »Sie tun mir leid, doch es ist besser, Sie sind gewarnt … Aber das soll Sie nicht mit meinem Vater entzweien. Ich wäre untröstlich, weil wiederum Sie deswegen weinen müßten, nicht er … Verstehen Sie jetzt, warum ich mich weigere, ihm auch nur einen Sou zu borgen?«
    Weil sie keine Antwort gab – die Kehle war ihr wie zugeschnürt, sie fühlte sich bis ins Herz getroffen –, erhob er sich und warf mit der ruhigen Ungezwungenheit eines gutaussehenden Mannes, der sich seiner einwandfreien Lebensführung sicher ist, einen Blick in den Spiegel. Dann kehrte er zu ihr zurück.
    »Nicht wahr, solche Beispiele machen uns schnell älter … Aber ich bin sofort solide geworden, ich habe ein junges Mädchen geheiratet, das krank war und gestorben ist, und heute schwöre ich hoch und heilig, daß man mich nicht noch einmal dazu verleiten wird, Dummheiten zu begehen … Nein! Sehen Sie, Papa ist unverbesserlich, weil er kein moralisches Empfinden hat.«
    Er nahm ihre Hand und behielt sie einen Augenblick in der seinen, denn sie fühlte sich ganz kalt an.
    »Ich gehe jetzt, da er ja doch nicht nach Hause kommt … Aber grämen Sie sich nicht! Ich hielt Sie für so stark! Und danken Sie mir, denn es gibt nur eine Dummheit: zum Narren gehalten zu werden.«
    Als er schon im Gehen war, blieb er an der Tür noch einmal stehen und fügte lachend hinzu:
    »Ich habe ganz vergessen, daß Sie ihm sagen sollen, Madame de Jeumont erwartet ihn zum Diner … Sie wissen schon, Madame de Jeumont, die für hunderttausend Francs mit dem Kaiser geschlafen hat … Und haben Sie keine Angst, denn so verrückt Papa noch immer sein mag, wage ich doch zu hoffen, daß er nicht fähig ist, für eine Frau diesen Preis zu zahlen.«
    Allein geblieben, rührte sich Frau Caroline nicht. Wie vernichtet saß sie auf ihrem Stuhl in dem großen, von dumpfem Schweigen erfüllten Zimmer und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Lampe. Der Schleier war plötzlich zerrissen: was sie bis dahin nicht hatte klar erkennen wollen, was sie nur zitternd vermutete, sah sie jetzt, ohne es beschönigen zu können, in seiner gräßlichen Rohheit. Nun sah sie Saccard so, wie er war, sah diese verwüstete, in ihrer Zersetzung so dunkle, fragwürdige Seele eines Geldmannes. Es gab für ihn in der Tat keinerlei Bindungen oder Schranken, er folgte seinen Begierden mit dem entfesselten Instinkt eines Menschen, der keine andere Grenze als seine Ohnmacht kennt. Er hatte seine Frau mit

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