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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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in ihrer Wohnung, die alles, was sie zärtlich liebte, all ihr Schamgefühl verletzten, sogar im Bett herumstöberten und ihr schönes Zimmer verpesteten, so daß sie die Fenster nach ihrem Weggang hatte weit aufreißen müssen!
    Aber ein weiterer, noch größerer Kummer sollte Marcelle an diesem Tag erwarten. Ihr war der Gedanke gekommen, gleich zu ihren Eltern zu laufen und sich von ihnen den Betrag zu borgen: so würde sie ihren Mann, wenn er abends nach Hause kam, nicht in Verzweiflung stürzen, sondern konnte ihn mit der Szene vom Morgen zum Lachen bringen. Schon sah sie sich, wie sie ihm von der großen Schlacht berichtete, von dem wilden Ansturm auf ihren Haushalt und von der heldenhaften Art, wie sie den Angriff zurückgeschlagen hatte. Das Herz schlug ihr zum Zerspringen, als sie die kleine Villa in der Rue Legendre betrat, jenes wohlhabende Haus, in dem sie aufgewachsen war und wo sie nur noch Fremde anzutreffen meinte, so verändert, so eisig schien ihr die Atmosphäre. Da sich ihre Eltern gerade zu Tisch setzten, willigte sie ein, mitzuessen, um sie milder zu stimmen. Während der Mahlzeit drehte sich das Gespräch nur um die Hausse der Universelle-Aktien, deren Kurs am Vortag noch um zwanzig Francs gestiegen war; und Marcelle wunderte sich, daß ihre Mutter, die anfangs schon beim bloßen Gedanken an jedwede Spekulation gezittert hatte, leidenschaftlicher und gewinnsüchtiger war als ihr Vater. Mit der Heftigkeit einer für die Sache gewonnenen Frau schmähte sie ihn jetzt wegen seiner Zaghaftigkeit und war ganz versessen auf die großen Glückstreffer. Schon beim Horsdʼœuvre ereiferte sie sich, als sie merkte, daß er ihre fünfundsiebzig Aktien zu diesem unerwarteten Kurs von zweitausendfünfhundertzwanzig Francs verkaufen wollte, was ihnen hundertneunundachtzigtausend Francs eingebracht hätte, ein hübscher Gewinn, mehr als hunderttausend Francs über dem Kaufpreis. Verkaufen, wo »La Cote Financière« einen Kurs von dreitausend Francs versprach! War er denn verrückt geworden? »La Cote Financière« war schließlich bekannt für ihre langjährige Zuverlässigkeit, er selbst wiederholte oft genug, man könne sich mit dieser Zeitung ruhig aufs Ohr legen und schlafen! O nein, sie wird ihn nicht verkaufen lassen! Eher verkauft sie die Villa, um noch mehr Aktien kaufen zu können! Und Marcelle hörte schweigend und beklommenen Herzens zu, wie die beiden leidenschaftlich mit so großen Zahlen um sich warfen; sie wußte nicht, wie sie es wagen sollte, um ein Darlehen von fünfhundert Francs zu bitten in diesem vom Börsenspiel beherrschten Haus, das die Flut der Finanzblätter, die sie allmählich hatte ansteigen sehen, heute in dem berauschenden Traum ihrer Reklame versinken ließ. Beim Nachtisch endlich faßte sich Marcelle ein Herz: sie brauchten fünfhundert Francs, sonst würde bei ihnen gepfändet, ihre Eltern könnten sie doch nicht in diesem Unglück im Stich lassen. Der Vater senkte sogleich mit einem verwirrten Blick auf seine Frau den Kopf. Aber schon lehnte die Mutter dieses Ansinnen rundweg ab. Fünfhundert Francs! Wo soll sie die hernehmen? Ihr ganzes Kapital ist in Finanzoperationen angelegt; und im übrigen ging ihr altes Geschimpfe wieder los: wenn man einen Hungerleider heiratet, einen Mann, der Bücher schreibt, muß man die Folgen seiner Dummheit auf sich nehmen und darf nicht versuchen, seinen Angehörigen zur Last zu fallen. Nein, sie hat nicht einen einzigen Sou für die Faulenzer übrig, die ihre edle Verachtung für das Geld zur Schau tragen und nur davon träumen, anderer Leute Geld durchzubringen. Und sie verabschiedete ihre Tochter, die untröstlich war und mit blutendem Herzen ging, weil sie ihre Mutter, die früher so vernünftig und so gut gewesen war, nicht mehr wiedererkannte.
    Auf der Straße hielt Marcelle im Gehen unbewußt Ausschau, ob sie nicht Geld auf der Erde fände. Da kam ihr plötzlich der Gedanke, sich an Onkel Chave zu wenden, und gleich darauf fand sie sich in der verschwiegenen Parterrewohnung in der Rue Nollet ein, um ihn nicht vor der Börse zu verfehlen. Sie hörte Getuschel und Mädchenlachen. Doch als sie die Tür aufmachte, war der Hauptmann allein und rauchte seine Pfeife; er war sehr betrübt und schrie, wütend über sich selbst, daß es ihm nie gelingen wolle, auch nur hundert Francs zu sparen, seine kleinen Börsengewinne bringe er von einem Tag zum andern durch, so ein dreckiges Schwein sei er. Als er dann von der Weigerung der Maugendres

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