Das Geld - 18
wie er das Abenteuer am besten ausschlachten könnte.
Wieder auf der Straße, kehrte Saccard mechanisch auf den Platz vor der Börse zurück. Er zitterte noch am ganzen Leib, und er schaute nicht einmal auf die kleine Frau Conin, deren hübscher Blondkopf lächelnd in der Tür der Papierwarenhandlung zu sehen war. Auf dem Platz hatte die Unruhe zugenommen, der Aufruhr des Börsenspiels tobte mit der entfesselten Gewalt einer Sturmflut gegen die Bürgersteige, die von Leuten wimmelten. Das war das Gebrüll von Viertel vor drei, die Schlacht der letzten Kurse, das rasende Verlangen, zu erfahren, wer mit vollen Händen nach Hause gehen würde. Als er gegenüber der Vorhalle an der Ecke der Rue de la Bourse stand, glaubte er in dem wirren Gedränge unter den Säulen den Baissier38 Moser und den Haussier Pillerault zu erkennen, die sich beide in den Haaren lagen. Und er vermeinte auch, aus dem Hintergrund des großen Saales die helle Stimme des Wechselmaklers Mazaud zu vernehmen, die für Augenblicke die gellenden Rufe Nathansohns übertönte, der unter der Uhr bei der Kulisse saß. Aber ein Wagen, der scharf am Rinnstein entlangfuhr, hätte ihn beinahe bespritzt. Massias sprang heraus, noch ehe der Kutscher angehalten hatte, war mit einem Satz die Stufen hinauf und brachte atemlos die letzte Order eines Kunden.
Saccard stand immer noch reglos, die Augen auf das Durcheinander da oben geheftet, und käute sein Leben wieder; die Erinnerung an seinen Anfang, die Buschs Frage wieder wachgerufen hatte, peinigte ihn. Er entsann sich der Rue de la Harpe, dann der Rue Saint-Jacques, durch die er auf seinen Eroberungszügen eines Glücksritters seine schiefgelaufenen Stiefel geschleift hatte, er erinnerte sich des Tages, da er in Paris gelandet war, um es sich zu unterwerfen, und von neuem packte ihn die Wut bei dem Gedanken, daß er es sich immer noch nicht unterworfen hatte, daß er erneut auf der Straße lag, unbefriedigt dem Glück auflauerte; ein solcher Hunger nach Genuß quälte ihn, und noch nie hatte er so darunter gelitten. Dieser Narr von Sigismond sagte ganz richtig: Von der Arbeit kann man nicht leben, allein die Elenden und die Dummköpfe arbeiten, um die anderen zu mästen. Es gab nur das Börsenspiel, das Spiel, durch das man auf einen Schlag von heute auf morgen zu Wohlstand, zu Luxus, zum großen Leben, zum Leben überhaupt kommt. Wenn diese alte Gesellschaft eines Tages aus den Fugen ging, sollte ein Mann wie er nicht noch die Zeit und den Platz finden, seine Begierden vor dem Zusammenbruch zu befriedigen?
Aber da stieß ihn ein Fußgänger an, der sich nicht einmal umdrehte, um sich zu entschuldigen. Er erkannte Gundermann, der seinen kleinen Gesundheitsspaziergang machte; Saccard sah ihn bei einem Konditor eintreten, von dem dieser König des Goldes seinen Enkelinnen manchmal eine Schachtel Bonbons für einen Franc mitbrachte. Und in dieser Minute, bei dem Fieber, das in ihm brannte, seitdem er so die Börse umkreiste, wirkte dieser Stoß mit dem Ellbogen wie ein Peitschenhieb, war er der letzte Anstoß, der seinen Entschluß festigte. Er hatte den Platz eingekreist, nun würde er zum Sturmangriff übergehen. Das war der Schwur eines gnadenlosen Kampfes: er würde Frankreich nicht verlassen, er würde seinem Bruder die Stirn bieten und das Spiel mit dem höchsten Einsatz, eine Schlacht von schrecklicher Kühnheit wagen, bei der er Paris die Fersen auf den Nacken setzen würde oder mit gebrochenem Hals in der Gosse liegen bliebe.
Bis Börsenschluß blieb Saccard hartnäckig auf seinem Droh- und Beobachtungsposten stehen. Er sah zu, wie sich die Vorhalle leerte, wie sich die Stufen mit all diesen langsam davongehenden, erhitzten und müden Leuten bedeckten. Um ihn herum dauerte das Verkehrschaos auf dem Pflaster und den Bürgersteigen an, riß der Strom der Leute nicht ab, der ewigen Menge, die es auszubeuten galt, der Aktionäre von morgen, die an dieser großen Lotterie der Spekulation nicht vorbeigehen konnten, ohne den Kopf zu wenden aus Furcht vor dem, was hier geschah, und zugleich in dem Verlangen, in das Geheimnis dieser Finanzoperationen einzudringen, das um so verlockender für die französischen Geister war, als nur sehr wenige von ihnen es zu ergründen vermochten.
Zweites Kapitel
Als Saccard nach seinem letzten, unseligen Grundstücksgeschäft sein Palais am Parc Monceau aufgeben und seinen Gläubigem überlassen mußte, um eine größere Katastrophe abzuwenden, hatte er zunächst den
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