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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Atemzug für sein Trugbild von Gerechtigkeit und Liebe hingab; hatte sie doch selber von einer Menschheit geträumt, die vom abscheulichen Übel des Geldes gereinigt wäre. Dann war es auch das Heulen jenes anderen, die unendliche, blutende Liebe des schrecklichen Wucherers, den sie für herzlos und der Tränen unfähig gehalten hatte. Doch nein! Sie war nicht mit dem tröstlichen Eindruck gegangen, daß es inmitten von soviel Schmerz noch soviel menschliche Güte gibt; im Gegenteil, sie war am Schluß verzweifelt gewesen über das entwischte kleine Monstrum, das über die Landstraßen galoppierte und den Gärstoff der Fäulnis säte, von der die Erde nie heilen sollte. Wie kam es also, daß sie jetzt wieder so fröhlich wurde?
    Am Boulevard angelangt, wandte sich Frau Caroline nach links und verlangsamte im Gewühl der Menge ihren Schritt. Einen Augenblick blieb sie vor einem kleinen Blumenwagen stehen, wo der starke Duft der Flieder- und Levkojensträuße sie mit einem Frühlingshauch umgab. Und während sie weiterging, stieg in ihr wie aus einer sprudelnden Quelle, die sie nicht zum Versiegen bringen, mit den Händen nicht verstopfen konnte, ein Strom der Freude empor. Sie hatte verstanden, sie wollte nicht. Nein, nein! Die furchtbaren Katastrophen lagen erst so kurze Zeit zurück, sie durfte nicht fröhlich sein, durfte sich nicht diesem Aufschäumen des ewigen Lebens überlassen, das sie emportrug. Und sie bemühte sich, ihre Trauer zu wahren, durch die vielen grausamen Erinnerungen wollte sie zu ihrer Verzweiflung zurückfinden. Wie, sie hätte noch lachen können nach all diesen Zusammenbrüchen, nach einer so erschreckenden Bilanz des Elends? Hatte sie vergessen, daß sie mitschuldig war? Und sie vergegenwärtigte sich die Tatsachen, erst diese, dann jene und noch wieder eine andere, so daß sie für den Rest ihres Lebens nur hätte weinen müssen. Aber wie sehr sie auch die Hand aufs Herz preßte, der Lebenssaft sprudelte immer ungestümer, der Quell des Lebens ließ sich nicht aufhalten, schwemmte die Hindernisse beiseite und warf die Trümmer ans Ufer, um ungehemmt, klar und triumphierend unter der Sonne dahinfließen zu können.
    Von diesem Augenblick an war Frau Caroline besiegt und mußte sich der unwiderstehlichen Kraft ständiger Verjüngung überlassen. Wie sie bisweilen lachend sagte, konnte sie nicht traurig sein. Der Beweis war erbracht, sie war in tiefster Verzweiflung gewesen, und doch erstand die Hoffnung wieder neu, gebrochen zwar und blutend, aber trotzdem lebendig, stärker von Minute zu Minute. Gewiß, es blieb ihr keine Illusion, das Leben war entschieden ungerecht und schändlich, wie die Natur. Wozu also diese Unvernunft, es zu lieben, es zu wollen? Wozu wie ein Kind, das nie die Freuden in Erfüllung gehen sieht, die man ihm versprochen hat, auf das ferne, unbekannte Ziel hoffen, dem das Leben uns auf endlosen Wegen entgegenführt? Als sie dann in die Rue de la Chaussée-dʼAntin einbog, hörte sie auf zu grübeln; die Philosophin in ihr, die Gelehrte, die Wissende dankten ab, müde der zwecklosen Suche nach den Ursachen. Sie war nichts anderes mehr als ein Geschöpf, das sich des schönen Himmels und der milden Luft erfreute, das den unvergleichlichen Genuß auskostete, gesund zu sein und die Schritte ihrer kräftigen kleinen Füße auf dem Bürgersteig zu hören. Ach, die Freude zu sein – gibt es denn im Grunde eine andere? Das Leben, so wie es ist, in seiner Kraft, so abscheulich es auch sein mag, mit seinem ewigen Hoffen!
    Als Frau Caroline in ihre Wohnung in der Rue Saint-Lazare zurückgekehrt war, die sie am nächsten Tag verlassen sollte, packte sie ihre Koffer zu Ende; und wie sie durch den schon ausgeräumten Zeichensaal ging, erblickte sie an den Wänden die Pläne und Aquarelle, die sie ganz zum Schluß zu einer einzigen Rolle verschnüren wollte. Traumversunken hielt sie vor jedem der Blätter inne, bevor sie die vier Stifte an den vier Ecken herauszog. Sie erlebte noch einmal die längst vergangenen Tage im Orient, dem so sehr geliebten Land, dessen strahlendes Licht sie in sich bewahrt zu haben schien. Sie erlebte noch einmal die fünf Jahre, die sie in Paris verbracht hatte, diese tagtägliche Krise, diese irrsinnige Betriebsamkeit, den gewaltigen Orkan der Millionen, der über ihr Leben hinweggebraust war und sie ausgeplündert hatte. Und sie spürte, wie in den noch rauchenden Trümmern bereits die neuen Blüten keimten und in der Sonne sich entfalteten. Zwar war nach

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