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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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der Schwelle aufpflanzen: Victor weigerte sich zu kommen. Einer der Knirpse überbrachte sogar statt einer Antwort einen unflätigen Ausdruck. Nun setzte sie sich selber in Bewegung und verschwand, als wollte sie ihn an den Ohren herbeiholen. Sie kam jedoch allein zurück, denn sie hatte überlegt und hielt es offenbar für angebracht, ihn in seiner ganzen Verkommenheit vorzuführen.
    »Wenn die gnädige Frau sich wohl die Mühe machen wollte, mir zu folgen?«
    Im Gehen erzählte sie Einzelheiten über die Cité de Naples, die ihr Mann von einem Onkel übernommen hatte. Ihr Mann mußte tot sein, niemand hatte ihn gekannt, und wenn sie je von ihm sprach, so nur, um die Herkunft ihres Besitzes zu erklären. Ein schlechtes Geschäft, das sie noch einmal umbringen werde, wie sie sagte, denn sie habe dabei mehr Sorgen als Gewinn, vor allem seitdem die Präfektur sie belästigte und ihr Inspektoren schickte, die unter dem Vorwand, daß die Leute bei ihr wie die Fliegen verreckten, Reparaturen und Verbesserungen forderten. Im übrigen weigerte sie sich energisch, auch nur einen Sou auszugeben. Bald würde man mit Spiegeln verzierte Kamine verlangen, in Zimmern, die sie für zwei Francs in der Woche vermietete! Sie verriet natürlich nicht, wie rücksichtslos sie ihre Mieten eintrieb, daß sie die Familien auf die Straße warf, wenn man ihr nicht im voraus ihre zwei Francs gab, daß sie selber Polizei spielte und so gefürchtet war, daß die obdachlosen Bettler nicht wagten, sich umsonst gegen eine ihrer Mauern zu lehnen und zu schlafen.
    Beklommenen Herzens betrachtete Frau Caroline den Hof, ein wüstes Gelände voller Morastlöcher, das der angesammelte Unrat in eine Kloake verwandelte. Alles wurde dorthin geworfen, es gab keine Müll- und keine Jauchegrube, dieser Misthaufen wurde unaufhörlich größer und verpestete die Luft; zum Glück war es kalt, denn bei großer Hitze stieg ein wahrer Pesthauch davon auf. Ängstlich suchte Frau Caroline den Gemüseabfällen und Knochen auszuweichen, während sie ihre Blicke nach beiden Seiten zu den Behausungen schweifen ließ, namenlose Höhlen, halb versunkene Erdgeschosse, verfallene Bruchbuden, die mit den verschiedenartigsten Baustoffen zusammengeflickt waren, manche einfach nur mit Dachpappe gedeckt. Viele hatten keine Tür und gewährten Einblick in schwarze Kellerlöcher, aus denen der Übelkeit erregende Atem des Elends drang. Acht- und zehnköpfige Familien waren in diesen Beinhäusern zusammengepfercht, ohne daß sie oftmals auch nur ein Bett hatten; Männer, Frauen und Kinder lagen zuhauf, übertrugen die Fäulnis einer auf den anderen wie verdorbene Früchte und waren von frühester Kindheit an durch die ungeheuerlichste Promiskuität der instinktiven Unzucht ausgeliefert. So füllten Scharen abgezehrter, elender, von Skrofeln und ererbter Syphilis zerfressener Rangen den Hof, arme Wesen, die als die Frucht einer zufälligen Umarmung wie madige Pilze aus diesem Misthaufen emporschossen, ohne daß man genau wußte, wer wohl der Vater sein mochte. Wenn eine Typhus- oder Pockenepidemie grassierte, fegte sie auf einen Schlag die Hälfte der Bewohner auf den Friedhof.
    »Ich sagte Ihnen bereits, gnädige Frau«, fuhr die Méchain fort, »daß Victor nicht allzu gute Beispiele vor Augen hatte und daß es an der Zeit wäre, an seine Erziehung zu denken, denn er wird nun schon zwölf Jahre alt … Zu Lebzeiten seiner Mutter, nicht wahr, mußte er wenig anständige Dinge mit ansehen, denn sie hatte kaum Hemmungen, wenn sie besoffen war. Sie brachte die Männer mit, und alles spielte sich vor seinen Augen ab … Und ich, später dann, ich hatte auch keine Zeit, ihn richtig zu beaufsichtigen, wegen meiner Geschäfte in Paris. Er trieb sich den ganzen Tag auf den Festungswerken herum. Zweimal mußte ich ihn von der Polizei abholen, weil er gestohlen hatte, ach, nur Kleinigkeiten. Als er soweit war, fing das dann mit den kleinen Mädchen an, seine arme Mutter hatte es ihm ja zur Genüge vorgemacht. So ist er eben, wie Sie gleich sehen werden, mit seinen zwölf Jahren schon ein richtiger junger Mann … Damit er ein bißchen arbeitet, habe ich ihn zu Mutter Eulalie gegeben, einer Frau, die auf dem Montmartre Gemüse im Korb verkauft. Er begleitet sie zur Markthalle und trägt ihr einen ihrer Körbe. Zu allem Unglück hat sie im Moment Geschwüre am Schenkel … Wir sind jetzt da, gnädige Frau, wollen Sie eintreten.«
    Frau Caroline wich unwillkürlich zurück. Hinter einer

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