Das Geld - 18
entwickelten Mundes, einem solchen Ausdruck von Güte, daß er sogleich einen Entschluß faßte.
»Gnädige Frau«, sagte er, »ich wollte mit Herrn Saccard sprechen, aber wie ich erfahren habe, ist er nicht da …«
Er log, er hatte gar nicht nach ihm gefragt, denn er wußte sehr genau, daß Saccard nicht zu Hause war, weil er auf dessen Weggang zur Börse gewartet hatte.
»Und ich habe mir nun erlaubt, mich an Sie zu wenden, was mir im Grunde auch lieber ist, da ich weiß, an wen ich mich wende … Es handelt sich um eine so ernste, so heikle Mitteilung …«
Frau Caroline hatte ihn noch nicht zum Sitzen aufgefordert und bot ihm jetzt mit einer Zuvorkommenheit, die ihre Unruhe verriet, einen Stuhl an.
»Sprechen Sie, mein Herr, ich höre.«
Während Busch sorgfältig die Schöße seines Gehrocks hob, als fürchtete er, diese zu beschmutzen, stellte er für sich selbst als eine ausgemachte Tatsache fest, daß sie mit Saccard schlief.
»Das ist nicht so leicht gesagt, gnädige Frau, und ich muß gestehen, daß ich mir auch jetzt noch nicht sicher bin, ob ich recht daran tue, Ihnen solche Dinge anzuvertrauen … Ich hoffe, daß Sie in meinem Schritt einzig und allein den Wunsch sehen, Herrn Saccard die Möglichkeit zu geben, altes Unrecht wiedergutzumachen …«
Mit einer Gebärde bedeutete sie ihm zu sprechen, denn sie hatte begriffen, mit was für einem Menschen sie es zu tun hatte, und wollte die unnützen Beteuerungen abkürzen. Er bestand auch nicht darauf, sondern erzählte lang und breit die alte Geschichte, wie Rosalie in der Rue de la Harpe verführt worden war, wie nach Saccards Verschwinden das Kind zur Welt kam, wie die Mutter in Ausschweifung und Laster starb und Victor fortan einer Cousine zur Last fiel, die zu beschäftigt war, um auf ihn aufzupassen, so daß er inmitten der Verworfenheit aufwuchs. Frau Caroline hörte ihm zu und war zunächst erstaunt über diesen Roman, auf den sie keineswegs gefaßt war, denn sie hatte sich eingebildet, es handle sich um irgendeine zwielichtige Geldgeschichte; dann empfand sie sichtlich Mitleid, das traurige Los der Mutter und die Verlassenheit des Kleinen bewegten sie und berührten zutiefst ihr Muttergefühl einer kinderlos gebliebenen Frau.
»Sind Sie denn sicher, mein Herr, daß sich die Dinge, die Sie mir da erzählen, so zugetragen haben? Bei solchen Geschichten bedarf es starker, unwiderlegbarer Beweise.«
Er lächelte.
»Oh, gnädige Frau, es gibt einen schlagenden Beweis, nämlich die außergewöhnliche Ähnlichkeit des Kindes … Dann die Daten, alles stimmt überein und beweist die Tatsachen sonnenklar.«
Sie zitterte, und er beobachtete sie. Nach einer Pause fuhr er fort:
»Sie verstehen jetzt, gnädige Frau, in welcher Verlegenheit ich war, mich direkt an Herrn Saccard wenden zu sollen. Ich selbst bin an dieser Sache in keiner Weise interessiert, ich komme nur im Namen von Frau Méchain, der Cousine, die bloß ein Zufall auf die Spur des so sehr gesuchten Vaters gebracht hat; denn wie ich schon die Ehre hatte Ihnen zu sagen, waren die zwölf Wechsel über fünfzig Francs, die man der unglücklichen Rosalie ausgestellt hatte, mit dem Namen Sicardot unterschrieben; ich will mir darüber kein Urteil erlauben, solche Dinge, mein Gott, sind bei diesem schrecklichen Leben in Paris entschuldbar. Bloß, Herr Saccard hätte meine Vermittlung falsch verstehen können, nicht wahr? Und da ist mir der Gedanke gekommen, zuerst Sie, gnädige Frau, aufzusuchen, um die weiteren Schritte völlig Ihnen anheimzustellen, da ich weiß, welches Interesse Sie an Herrn Saccard nehmen … So, Sie kennen jetzt unser Geheimnis; meinen Sie, ich soll auf ihn warten und ihm schon heute alles sagen?«
Frau Caroline zeigte wachsende Unruhe.
»Nein, nein, später!«
Aber sie wußte selbst nicht, was angesichts dieser seltsamen vertraulichen Mitteilung zu tun war. Er beobachtete sie weiter und war befriedigt über ihre außerordentliche Empfindsamkeit, durch die sie ihm ausgeliefert war; von nun an konnte er sicher sein, aus ihr mehr herauszuholen, als Saccard je gegeben hätte, und sein Plan nahm feste Gestalt an.
»Man müßte einen Entschluß fassen«, murmelte er.
»Nun gut! Ich werde hingehen … Ja, ich will in diese Cité de Naples fahren zu dieser Frau Méchain und dem Kind … Es ist besser, viel besser, wenn ich mir zuerst Klarheit über die Sache verschaffe.«
Laut denkend, beschloß sie, eine sorgfältige Untersuchung vorzunehmen, ehe sie dem Vater etwas
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