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Das Geld - 18

Das Geld - 18

Titel: Das Geld - 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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regelrechten Müllbarrikade am Ende des Hofes gewahrte sie eines der stinkendsten Löcher, ein im Boden versinkendes altes Gemäuer, fast nur ein Schutthaufen, der mit Brettern abgestützt war. Kein Fenster. Die Tür, eine mit Zinkblech vernagelte alte Glastür, stand offen, damit man überhaupt etwas sehen konnte, und ließ die grimmige Kälte in den Raum. In einer Ecke erblickte Frau Caroline einen Strohsack, einfach auf die gestampfte Erde hingeworfen. Kein anderes Möbelstück war zu sehen in diesem Wirrwarr von zerspellten Fässern, losgerissenen Zaunlatten und halb verfaulten Körben, die als Sitzgelegenheiten und Tische dienen mußten. Die Wände schwitzten eine klebrige Feuchtigkeit aus. Ein Spalt, eine grüne Ritze in der schwarzen Decke ließ den Regen auf das Fußende des Strohsackes tropfen. Und der Gestank, der Gestank vor allem war fürchterlich, menschliche Verworfenheit in unvorstellbarer Not.
    »Mutter Eulalie«, rief die Méchain, »hier ist eine Dame, die Victor gutgesinnt ist … Was hat er denn, der Schlingel, daß er nicht kommt, wenn man ihn ruft?«
    Auf dem Strohsack bewegte sich ein unförmiger Fleischklumpen, in einen alten Kattunfetzen gehüllt, der als Bett tuch diente, und Frau Caroline bemerkte eine Frau von etwa vierzig Jahren; splitternackt lag sie da, weil sie kein Hemd besaß, und glich einem halbleeren Schlauch, so schlaff und faltig war sie. Der Kopf war nicht häßlich, sondern noch frisch und von blonden Löckchen umrahmt.
    »Ach«, greinte sie, »soll sie hereinkommen, wenn es zu unserm Wohl ist, denn so kann es bei Gott nicht weitergehen! Bedenken Sie, gnädige Frau, vierzehn Tage ist es nun schon her, daß ich wegen dieser mistigen Karfunkel, die mir den Schenkel durchlöchern, nicht aufstehen kann! Und natürlich ist kein Sou mehr da. Unmöglich, mit dem Handel weiterzumachen. Ich hatte zwei Hemden, Victor ist sie verkaufen gegangen; ich glaube, wir wären heute abend vor Hunger umgefallen.«
    Dann hob sie die Stimme.
    »Nun ist es genug, komm endlich heraus, Kleiner! Die Dame will dir nichts Böses tun.«
    Und Frau Caroline fuhr zusammen, als sie sah, wie sich aus einem Korb ein Bündel erhob, das sie für einen Haufen Lumpen gehalten hatte. Das war Victor, bekleidet mit den Resten einer Hose und eines Leinenkittels, die so durchlöchert waren, daß das nackte Fleisch durchschimmerte. Er stand mitten im Licht der Tür, und Frau Caroline bekam den Mund nicht zu, so verblüfft war sie über seine außergewöhnliche Ähnlichkeit mit Saccard. Alle ihre Zweifel schwanden, die Vaterschaft war nicht zu leugnen.
    »Sie soll mir mit der Schule bloß vom Hals bleiben«, erklärte er.
    Sie schaute ihn mit wachsendem Mißbehagen unverwandt an. Bei seiner auffallenden Ähnlichkeit wirkte er beunruhigend, dieser Bengel: die eine Gesichtshälfte größer als die andere, die Nase nach rechts gebogen, der Kopf wie breitgequetscht auf der Treppenstufe, wo seine vergewaltigte Mutter ihn empfangen hatte. Überdies schien er für sein Alter erstaunlich weit entwickelt, nicht sehr groß, untersetzt, mit zwölf Jahren körperlich voll ausgebildet und wie ein frühreifes Tier behaart. Er hatte die frechen, lüsternen Augen und den sinnlichen Mund eines Mannes. Dabei war er noch so kindlich, hatte noch einen so reinen Teint und Züge von so mädchenhafter Zartheit, daß sich seine so plötzlich erblühte Männlichkeit wie eine Monstrosität peinlich und erschreckend ausnahm.
    »Hast du denn solche Angst vor der Schule, mein Kleiner?« fragte schließlich Frau Caroline. »Dort wärst du doch besser aufgehoben als hier … Wo schläfst du denn?«
    Mit einer Gebärde wies er auf den Strohsack.
    »Dort, mit ihr.«
    Verärgert über diese offenherzige Antwort, wälzte sich Mutter Eulalie auf ihrem Lager hin und her und suchte nach einer Erklärung.
    »Ich hatte ihm sein Bett auf einer kleinen Matratze zurechtgemacht, doch wir mußten sie verkaufen … Man schläft, so gut man kann, nicht wahr, wenn nichts da ist.«
    Die Méchain glaubte vermitteln zu müssen, obwohl sie genau wußte, was hier vor sich ging.
    »Trotzdem schickt sich das nicht, Eulalie … Und du Taugenichts hättest ruhig bei mir schlafen können, anstatt mit ihr zu schlafen.«
    Aber Victor pflanzte sich auf seinen kurzen, stämmigen Beinen auf und spreizte sich in der Frühreife eines Mannsstückes.
    »Warum denn? Sie ist meine Frau!«
    Mutter Eulalie, die sich in ihren Fettmassen sielte, lachte nur und versuchte, die Schändlichkeit zu

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