Das Geld - 18
errichtet, umgaben sie wie Schutthaufen den Innenhof. Einem Kerker gleich, beherrschte zur Straße hin ein einstöckiges Haus den Zugang, aus Bruchsteinen erbaut, aber von abstoßender Baufälligkeit und Verkommenheit. Und in der Tat, hier wohnte Frau Méchain als wachsame Eigentümerin, lag unaufhörlich auf der Lauer und beutete höchstpersönlich ihr kleines Völkchen von ausgehungerten Mietern aus.
Sobald Frau Caroline aus dem Wagen gestiegen war, sah sie die Méchain auf der Schwelle erscheinen, Busen und Bauch ungeheuerlich in einem alten blauseidenen Kleid wogend, das an den Falten abgewetzt war und an den Nähten aufplatzte, die Wangen so gedunsen und so rot, daß die verschwindend kleine Nase zwischen zwei Kohlefeuern zu braten schien. Voll Unbehagen zögerte Frau Caroline, als die sehr zarte Stimme, die an die schrillen Töne einer Hirtenflöte gemahnte, sie beruhigte.
»Ach, gnädige Frau, Herr Busch schickt Sie wohl, Sie kommen wegen des kleinen Victor … Treten Sie ein, treten Sie doch ein. Ja, das hier ist die Cité de Naples. Die Straße hat keine Ordnung, wir haben noch keine Hausnummern … Treten Sie ein, über das alles muß ja erst einmal gesprochen werden. Mein Gott, das ist so unangenehm und so traurig!«
Und Frau Caroline mußte sich in dem schmutzig- schmierigen Eßzimmer, wo ein rotglühender Ofen drückende Hitze und stickigen Dunst verbreitete, auf einen schadhaften Strohstuhl setzen. Es sei ein großes Glück, daß die Besucherin sie angetroffen habe, beteuerte die Méchain, denn sie habe in Paris so viele Geschäfte zu erledigen und komme sonst kaum vor sechs Uhr nach Hause. Frau Caroline mußte sie unterbrechen.
»Verzeihung, meine liebe Frau, ich komme wegen dieses unglücklichen Kindes.«
»Ganz recht, gnädige Frau, ich zeige es Ihnen gleich … Sie wissen, seine Mutter war meine Cousine. Ach, ich kann wohl sagen, daß ich meine Pflicht getan habe … Hier sind die Papiere, hier sind die Rechnungen.«
Aus einer Anrichte holte sie eine wohlgeordnete Akte, die wie bei einem Geschäftsführer in einen blauen Aktendeckel eingeheftet war. Und sie hörte nicht mehr auf, von der armen Rosalie zu erzählen: keine Frage, sie habe am Ende ein gar abscheuliches Leben geführt, sei mit dem ersten besten losgezogen und nach achttägigen Kneiptouren betrunken und blutig geschlagen heimgekehrt; aber man müsse das verstehen, nicht wahr, denn sie sei eine gute Arbeiterin gewesen, bis ihr der Vater des Kleinen die Schulter ausrenkte, als er sie auf der Treppe vergewaltigte; bei ihrer Krankheit habe sie vom Zitronenverkauf in der Markthalle kein anständiges Leben führen können.
»Sie sehen, gnädige Frau, zwanzig-, vierzigsousweise habe ich ihr das alles geborgt. Die Daten stehen dabei: am 20. Juni zwanzig Sous, am 27. Juni noch mal zwanzig Sous, am 3. Juli vierzig Sous. Und hier: zu dieser Zeit muß sie krank gewesen sein, denn es hört gar nicht mehr auf mit den vierzig Sous … Dann war da noch Victor, den ich kleiden mußte. Ich habe ein V vor alle Ausgaben für den Bengel gesetzt … Hinzu kommt, daß ich ihn nach Rosalies Tod – ein scheußlicher Tod, sie ist bei lebendigem Leibe verfault – ganz auf dem Halse hatte. Da, schauen Sie! Ich habe fünfzig Francs pro Monat angesetzt. Das ist wirklich nicht zuviel. Der Vater ist reich, er kann für seinen Jungen gut und gerne fünfzig Francs pro Monat zahlen … Alles in allem macht das fünftausendvierhundertdrei Francs; die sechshundert Francs für die Wechsel mitgerechnet, kommen wir auf insgesamt sechstausend Francs … Ja, alles für sechstausend Francs!«
Trotz des Ekels, der Frau Caroline erbleichen ließ, stellte sie eine Überlegung an.
»Aber die Wechsel gehören Ihnen doch gar nicht, sie sind Eigentum des Kindes.«
»Ach, Verzeihung«, versetzte die Méchain scharf, »ich habe Geld darauf vorgeschossen. Um Rosalie einen Gefallen zu tun, habe ich ihr die Wechsel diskontiert. Sie sehen auf der Rückseite mein Indossament … Ich bin nur zu anständig, um Zinsen zu verlangen … Aber das muß man sich überlegen, meine gute Dame, man wird doch nicht wollen, daß eine arme Frau wie ich noch draufzahlt.«
Auf eine matte Gebärde der guten Dame hin, die die Rechnung entgegennahm, beruhigte sie sich. Sie fand sogar ihr flötendes Stimmchen wieder und sagte:
»Jetzt will ich aber Victor rufen lassen.«
Aber sie mochte dreist hintereinander drei von den Knirpsen losschicken, die da herumlungerten, und sich mit großen Gebärden auf
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