Das Geld - 18
vertuschen, indem sie die Sache ins Scherzhafte abbog. Sie war von zärtlicher Bewunderung erfüllt.
»Oh, meine Tochter würde ich ihm bestimmt nicht anvertrauen, wenn ich eine hätte … Er ist ein richtiger kleiner Mann.«
Frau Caroline erbebte. Sie fühlte ihren Mut schwinden, und es packte sie furchtbarer Ekel. Also schlief dieser Bengel von zwölf Jahren, dieses kleine Monstrum, mit dieser verwüsteten, kranken Vierzigjährigen auf diesem schmutzigen Strohsack inmitten dieser Seherben und in diesem Gestank! Welch ein Elend, das alles zerstört und verfaulen läßt!
Sie gab ihnen zwanzig Francs und flüchtete sich eilends zur Hausbesitzerin, um einen Entschluß zu fassen und sich endgültig mit ihr zu verständigen. Angesichts solcher Verwahrlosung war ihr der Gedanke an das »Werk der Arbeit« gekommen. War dieses Werk nicht gerade für derartige Entgleisungen geschaffen, für die elenden Kinder der Gosse, die durch Hygiene und einen Beruf auf den richtigen Weg geführt werden sollten? So schnell wie möglich mußte man Victor aus dieser Kloake herausholen, ihn dort unterbringen und ihn ein neues Leben beginnen lassen. Sie zitterte noch am ganzen Leibe. Und dieser Entschluß war auch von ihrem fraulichen Feingefühl diktiert: sie wollte Saccard noch nichts sagen, sondern warten, bis sie dem kleinen Monstrum ein wenig Bildung beigebracht hatte, und es erst dann dem Vater zeigen; denn sie schämte sich beinahe für Saccard wegen dieses schrecklichen Sprößlings, sie litt unter der Schande, die Victor ihm gemacht hätte. Ein paar Monate reichten zweifellos aus, dann wollte sie reden, glücklich über ihre gute Tat.
Die Méchain begriff nur schwer.
»Mein Gott, gnädige Frau, wie es Ihnen beliebt … Aber meine sechstausend Francs will ich sofort haben. Victor bleibt so lange bei mir, bis ich meine sechstausend Francs habe.«
Diese Forderung brachte Frau Caroline zur Verzweiflung. Sie hatte das Geld nicht, und natürlich wollte sie den Vater nicht darum bitten. Ihr Feilschen und Flehen war vergeblich.
»Nein, nein! Wenn ich mein Pfand nicht mehr hätte, könnte ich lange warten. Ich kenne das.«
Als die Méchain schließlich merkte, daß die Summe zu hoch war und daß sie gar nichts erhalten würde, ließ sie im Preis nach.
»Na schön! Geben Sie mir zweitausend Francs sofort. Mit dem Rest will ich noch warten.«
Aber Frau Caroline blieb in der gleichen Verlegenheit, und sie fragte sich, woher sie diese zweitausend Francs nehmen sollte, als ihr die Idee kam, sich an Maxime zu wenden. Sie wollte nicht erst weiter darüber nachdenken. Er würde das Geheimnis bestimmt wahren und ihr nicht abschlagen, dieses bißchen Geld vorzuschießen, das ihm sein Vater sicherlich zurückerstatten würde. Und sie ging fort mit dem Bemerken, sie werde am nächsten Tag wiederkommen, um Victor abzuholen.
Es war erst fünf Uhr, und in ihrem fieberhaften Verlangen, mit dieser Sache zu einem Ende zu kommen, nannte sie beim Einsteigen in ihre Droschke dem Kutscher Maximes Adresse in der Avenue de lʼImpératrice. Als sie dort eintraf, sagte ihr der Kammerdiener, Herr Maxime sei in seinem Ankleidezimmer, aber er wolle sie trotzdem anmelden.
Einen Augenblick vermeinte sie, in dem Salon, wo sie wartete, ersticken zu müssen. Das kleine Palais war mit einem erlesenen Raffinement an Luxus und Behaglichkeit ausgestattet. Wandbespannungen und Teppiche lagen überall in verschwenderischer Fülle, und die laue Stille der Gemächer atmete einen zarten Ambraduft. Hier war es hübsch, anheimelnd und verschwiegen, obwohl hier keine Frau waltete, denn der junge Witwer, der durch den Tod seiner Frau reich geworden war, hatte sein Leben einzig und allein auf den Kult seines Ichs eingestellt und als gewitzter Mann seine Tür einer jeden neuen Teilung verschlossen. Dieses behagliche Leben, das er einer Frau verdankte, sollte ihm keine andere Frau verderben. Das Laster hatte ihm die Augen geöffnet, und so naschte er davon nur noch wie von einem Nachtisch, der ihm wegen seines kranken Magens verboten war. Seit langem hatte er den Gedanken aufgegeben, in den Staatsrat einzutreten, er hatte auch keinen Rennstall mehr, weil er der Pferde wie der Mädchen überdrüssig war. Er lebte allein, müßig und vollkommen glücklich und verzehrte mit Talent und Bedacht sein Vermögen, mit der Gier eines perversen ausgehaltenen Schwiegersohns, der seriös geworden ist.
»Wenn gnädige Frau mir folgen wollen«, sagte der Kammerdiener, als er zurückkam.
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