Das Geld - 18
sagte. Wenn sie sich erst überzeugt hatte, war immer noch Zeit, ihm davon Kenntnis zu geben. War sie nicht dazu da, über sein Haus und seine Ruhe zu wachen?
»Leider eilt das«, versetzte Busch und brachte sie nach und nach dahin, wohin er sie haben wollte. »Der arme Bengel leidet. Er ist in einer abscheulichen Umgebung.«
Sie war aufgestanden.
»Ich setze bloß meinen Hut auf und fahre sofort hin.«
Busch erhob sich seinerseits und bemerkte lässig:
»Ich muß Ihnen nicht sagen, daß eine kleine Rechnung zu begleichen sein wird. Das Kind hat natürlich Kosten verursacht, und da ist auch noch zu Lebzeiten der Mutter Geld geborgt worden … Oh, ich weiß nichts Genaues. Ich wollte mich damit nicht belasten. Die Papiere sind alle dort.«
»Schön! Ich werde ja sehen.«
Nun schien er selbst in Rührung zu verfallen.
»Ach, gnädige Frau, wenn Sie all die komischen Sachen wüßten, die ich bei meinen Geschäften zu sehen bekomme! Die ehrlichsten Leute haben später unter ihren Liebschaften zu leiden oder, was noch schlimmer ist, unter den Liebschaften ihrer Verwandten … So könnte ich Ihnen ein Beispiel anführen: Ihre unglücklichen Nachbarinnen, die Damen Beauvilliers.«
Unversehens hatte er sich einem der Fenster genähert und sandte brennend neugierige Blicke in den Nachbargarten. Seitdem er eingetreten war, sann er offenbar über diese Gelegenheit zum Auskundschaften nach, denn er liebte es, seine Schlachtfelder kennenzulernen. In der Sache mit dem Schuldschein über zehntausend Francs, den der Graf auf die Dirne Léonie Cron ausgestellt hatte, war Buschs Vermutung richtig gewesen, die Auskünfte aus Vendôme bestätigten das mutmaßliche Abenteuer: das Mädchen war verführt worden und beim Tode des Grafen mit ihrem unnützen Wisch ohne einen Sou geblieben; darauf brennend, nach Paris zu kommen, überließ sie schließlich den Schuldschein für vielleicht fünfzig Francs dem Wucherer Charpier als Pfand. Busch hatte zwar die Beauvilliers sofort ausfindig machen können, jagte aber schon seit sechs Monaten die Méchain durch Paris, ohne daß er Léonie zu fassen bekam. Sie war hier als Mädchen für alles zunächst an einen Gerichtsvollzieher geraten und hatte später in drei anderen Stellungen gearbeitet; wegen notorischer Unzucht davongejagt, war sie dann verschwunden, und er hatte vergeblich alle Gossen nach ihr abgesucht. Das erbitterte ihn um so mehr, als er gegen die Gräfin nichts unternehmen konnte, solange er nicht das Mädchen hatte als lebendige. Androhung eines Skandals. Nichtsdestoweniger behielt er die Sache im Auge, und er war glücklich, von diesem Fenster aus den Garten des Palais kennenzulernen, von dem er bisher nur die Fassade zur Straße gesehen hatte.
»Sind etwa auch diese Damen von einer Unannehmlichkeit bedroht?« fragte Frau Caroline besorgt und teilnahmsvoll.
Er spielte den Unschuldigen.
»Nein, ich glaube nicht … Ich wollte einfach von der traurigen Lage sprechen, in die sie der schlechte Lebenswandel des Grafen gebracht hat … Ja, ich habe Freunde in Vendôme, ich kenne die Geschichte der Beauvilliers.«
Und als er endlich vom Fenster wegging, fand er in seiner gespielten Rührung plötzlich und auf seltsame Weise zu sich selbst zurück.
»Geldsorgen lassen sich noch verschmerzen. Aber wenn erst der Tod in ein Haus Einzug hält!«
Diesmal netzten ihm echte Tränen die Augen. Er hatte an seinen Bruder denken müssen, und es schnürte ihm die Kehle zu. Sie glaubte, er hätte vor kurzem einen der Seinen verloren, und wagte aus Taktgefühl nicht zu fragen. Bis dahin hatte sie sich über das schmutzige Handwerk dieses Menschen, der ihr soviel Widerwillen einflößte, keiner Täuschung hingegeben; aber diese unerwarteten Tränen bestärkten sie mehr als die geschickteste Taktik in ihrem Wunsch, sofort in die Cité de Naples zu eilen.
»Gnädige Frau, ich verlasse mich auf Sie.«
»Ich breche sofort auf.«
Eine Stunde später irrte Frau Caroline, die einen Wagen genommen hatte, hinter dem Montmartrehügel umher, ohne die Cité de Naples finden zu können. In einer der menschenleeren Straßen hinter der Rue Marcadet wies schließlich eine alte Frau dem Kutscher den Weg dorthin. Zunächst geriet man auf einen, wie es schien, beinahe unbefahrbaren, schlammigen Feldweg, der mit Abfällen übersät war und mitten durch ödes Gelände führte; und erst wenn man genau hinsah, gewahrte man die elenden Hütten: aus Erde, alten Brettern und durchgerosteten Zinkblechen
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