Das Geloebnis
seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen? Angenommen, er sagte es ihr – würde sie es gut oder übel aufnehmen? Konnte er ihr verheimlichen, daß ihm vor Fieber schwindelte, daß ihm die Augen in den Höhlen brannten, daß er fühlte, wie sein Arm unter dem Verband anschwoll? Da wußte er, daß er sich gegenüber ihrer Willenskraft nicht auf sich selbst verlassen durfte. Er hatte sie darauf aufmerksam gemacht, daß Tage vergehen mochten, bis sie sich wiedersehen – sollten es also Tage sein.
»In einer Stunde will ich aufbrechen«, sagte er zum General.
»Da Ihr Euer Leben einsetzt«, bemerkte der General, »habe ich Euch keine Befehle zu erteilen. Der eigene Verstand muß Euch sagen, wo Euer Weg ist.« Dann teilte er Sheng die Neuigkeit mit, die er bis jetzt für sich behalten hatte. »Ich habe die besten Soldaten unserer drei Divisionen für Euch ausgewählt, die Ihr nun befehligen sollt.«
Sheng hörte diese Worte, die ihn zu jeder anderen Zeit mit Freude erfüllt hätten. Aber obwohl seine Ohren sie aufnahmen, konnte sein Hirn sie nicht fassen. Er versuchte, die Augen auf das Gesicht seines Generals zu heften, und er sah es doppelt.
»Habt Ihr gehört?« fragte der General.
»Ich will … mein Allerbestes tun«, stammelte Sheng, und er zwang seinen rechten Arm zum Gruß, drehte sich um und verließ das Zelt.
17
Der Schmerz in dem geschwollenen Arm hatte Sheng bis zur Dämmerung des nächsten Tages nicht schlafen lassen. Die Pein machte ihn so ungeduldig, daß er den Ärmel seiner Uniform aufschlitzte, wodurch ihm ein wenig Erleichterung wurde, denn die Haut war so rot und gespannt, daß sogar das Gewicht des Stoffes schon zuviel war. Dann nahm er den Verband und den Umschlag ab, worauf der gelbe Eiter zu fließen begann. Er ließ ihn aus der Wunde strömen und fühlte sich so befreit, daß er hinausgehen konnte, um seinen Soldaten gegenüberzutreten. Als das Signalhorn erschallte, kamen sie herbei, angeführt von fünf jungen Offizieren, die Shengs Kommando unterstellt waren.
Die klare, stille Morgenluft beruhigte Shengs fiebrigen Geist, als er vor ihnen stand. Er betrachtete seine Untergebenen mit Stolz. Es waren tüchtige Männer, sonnenverbrannt und mager, aber durchaus gesund. Ihre Uniformen sahen abgetragen aus und zeigten ein Grau, das kaum erkennen ließ, welche Farbe sie ursprünglich gehabt haben mochten; an den bloßen Füßen trugen die Männer Strohsandalen, und jeder hatte ein Ersatzpaar auf dem Rücken. Jeder hatte zudem ein Gewehr irgendwelcher Art, seinen kleinen Tornister sowie einen Hut aus Reisstroh, der gegen Sonne oder Regen schützte.
»Seid ihr bereit?« fragte Sheng, anstatt zu grüßen, und die Männer riefen mit ihren verschiedenen Stimmen zurück, daß sie bereit seien. So begab sich Sheng ohne weitere Umstände an die Spitze des Zuges, und die Leute folgten ihm, indem sie sich durchs Tal verteilten; unter ihnen befand sich – was Sheng nicht wußte – der Inder. Krebschen hatte dem Inder befohlen zurückzubleiben, aber der Inder hatte gewartet, bis der Marsch begann, und dann war er gefolgt, um Sheng nahe zu sein. Charlie Li war schon vorher losgezogen, um Nahrungsmittel zu sammeln und den Standort des Feindes auszukundschaften.
Mehrere Kilometer legten sie zurück, und als volles Tageslicht herrschte, gebot Sheng Halt und erlaubte seinen Leuten zu rasten. Dann ließ er folgenden Tagesbefehl ergehen:
»Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir uns fächerartig zerstreuen wollen, aber euer aller Bestimmungsort ist das Dorf der Drei Gewässer. Dieses Dorf liegt östlich vom Flusse, hundertdreiundfünfzig Kilometer von unserem Standort entfernt; in der Nähe befindet sich ein kleiner See, der nun fast ausgetrocknet ist. Wenn ihr zu je hundert aufbrecht, einen halben Kilometer geht und euch dann genau westlich haltet, so werdet ihr den See erreichen. Wer sich zuerst nordwärts wendet, muß sich nachher nördlich halten. Überquert den See, wo ihr könnt; in der Mitte auf der andern Seite liegt das Dorf, das ihr erkennen werdet, denn es ist vom See, von einem Flüßchen, das zu klein für eine Landkarte ist, und einem schmalen Kanal umrahmt; das sind die drei Gewässer. Aber bleibt nicht beisammen. Geht dahin, als ob ihr Reisende oder Pilger oder herumstromernde Soldaten wäret.«
Sheng selber nahm einen sehr jungen Burschen mit sich, der sich an der Grenze zu ihnen gesellt hatte; diesen Jungen wählte er aus, weil er schweigsam war. Denn jetzt schmerzte Sheng der Arm wieder;
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