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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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mit Medikamenten aus ihrem eigenen Kästchen.
    Jetzt wurden beide von Scheu befallen, und doch dünkte es sie gut, allein zu sein, einerlei, wie schlimm die Umstände waren. Das Alleinsein konnte nur einige Minuten dauern, das wußten sie, und beide überlegten rasch, was sie in den wenigen Minuten sagen könnten; sie suchten nach Worten, die weiterwirken würden, auch wenn sie wieder getrennt wären. Sheng, der stets offen und geradezu war, sprach als erster: »Wenn wir jemals aus dieser Falle kommen, in der wir jetzt stecken, dann will ich keinen Tag länger warten, um dein wahres Gefühl für mich zu ergründen.«
    Sie hatte sich eifrig mit seiner Verletzung beschäftigt, und nun blickte sie auf, um ihn anzulächeln, aber das Lächeln erstarb auf ihrem Gesicht, denn sie sah, daß sogar die leichteste Berührung mit seinem Arm ihn elend vor Schmerzen werden ließ.
    »Oh«, rief sie, »das ist wirklich schlimm! Du hättest mir sagen sollen, wie schlimm es ist. Setz dich, Sheng …« Sie nötigte ihn auf eine Kiste, die einst Patronen enthalten hatte und die ihr nun als Sitz diente. Sie fuhr fort, die Wunde auszuwaschen, wobei sie ihn dauernd mit leisem Murmeln tröstete. »Jetzt muß ich dir weh tun, du armer Kerl; ich kann nichts dafür. Es schmerzt am eigenen Leib, dir so weh zu tun, aber Schmutz und Gift müssen fortgewaschen werden. Wenn Chung kommt, sieht er dann genau, was los ist, und so weiß er, was er als nächstes tun muß …«
    Er saß still da; er sprach nicht, weil ihre Worte ihn hold dünkten und der Klang ihrer Stimme warm. Wie nahe … wie nahe sie einander waren … nichts konnte sie scheiden, nicht einmal der Tod.
    Aber dieser Augenblick war nur ein Augenblick – schon vorbei, bevor sie ihn zu greifen vermochten, und da stand Chung in der Zeltöffnung.
    »Nun?« fragte er.
    »Dieser Offizier«, erklärte Mayli. »Er hat eine Entzündung durch einen Nagel.«
    Chungs kahler Kopf war wie ein Totenschädel, so sehr hatte er abgenommen; die Sehnen in seinem Nacken waren wie Stricke, die sein Haupt bewegten; das Bäuchlein, das er in guten Tagen zu haben pflegte, war nun verschwunden; an seiner Stelle befand sich eine Einbuchtung, so daß Chung seinen Gürtel zweimal herumschlingen mußte. Aber er war nicht krank, und nie sprach er von Müdigkeit. Er betrachtete die gesäuberte Wunde, roch daran und schüttelte den Kopf.
    »Dieser Mann sollte ein Sulfanilamid-Medikament haben«, sagte er, »aber ich habe keins mehr. Schon vor Tagen habe ich das letzte verbraucht.«
    »Ob es die Engländer wohl haben?« forschte Mayli.
    »Wie soll ich das wissen?« antwortete Chung. »In diesen zehn Tagen habe ich keinen einzigen englischen Arzt gesehen.«
    »Wir können nicht mit ihnen Schritt halten«, mischte Sheng sich ein. »Sie ziehen sich immer vor uns zurück.«
    Da ging es Mayli endlich auf, weshalb sie jeden Tag zurückgegangen waren. »Hetzen wir darum jeden Mittag so?« fragte sie.
    »Wir bekommen jeden Morgen den Befehl, die Stellung zu halten«, erwiderte Sheng rasch. »Wir halten sie mit allen Mitteln. Dann kommt gegen Mittag der Befehl, die Linien zu bereinigen. Dann verbringen wir den Nachmittag damit, uns zur neuen Stellung zurückzuziehen.«
    Sie blickten einander in tiefster Niedergeschlagenheit an.
    »Aber was ist denn das Ende davon?« fragte Mayli.
    »Wer weiß das?« entgegnete Sheng. »Glaub mir, der General ist wie ein Wahnsinniger. Er, der sich in seinem ganzen Kriegerleben nie zurückgezogen hat, wird nun dauernd rückwärts gedrängt und muß seine Leute tot liegenlassen. Wir, die wir unter ihm befehligen – was können wir tun?«
    »Aber der Amerikaner?« stieß Mayli hervor.
    »Was kann der Amerikaner tun?« versetzte Sheng kurz. »Er ist kein Gott; er ist wie wir – ein Fremder, der auf fremdem Boden kämpft. Nein, die Schlacht ist verloren. Wir wissen es. Die Leute riechen die Niederlage sogar zuhinterst, und Soldaten desertieren.«
    »Unsere Leute?« fragte Mayli leise.
    »Alle …«, erklärte Sheng. »Wer desertieren will, der tut es, Weiße, Gelbe, Schwarze …«
    Während der ganzen Zeit hatte er seinen Arm steif gehalten, und jetzt erinnerte sich der Arzt wieder an seine Pflicht. Er seufzte und sagte: »Ich weiß nicht, was ich mit Euch anfangen soll.«
    Da mischte Pansiao sich ein. Sie hatte stumm dagestanden, während sie vom Krieg redeten, und das Gespräch nicht beachtet, sondern ihr Augenmerk nur auf den Arm ihres Bruders gerichtet.
    »Erinnerst du dich, dritter

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