Das Geloebnis
sein Kopf war heiß und schwindlig, und er wünschte kein Gespräch. Den ganzen Tag hindurch ging er schweigend dahin, sagte keine zwanzig Worte zu dem Burschen, der sich vor ihm fürchtete, sich mindestens drei Meter hinter ihm hielt und nichts redete außer »Ja, großer Bruder«, wenn Sheng den Kopf wandte.
Später wußte Sheng von diesem Tage nur noch, daß er selbst einen Fuß vor den andern gesetzt hatte. Er hielt nicht inne, um zu essen oder auszuruhen, aber er machte jedesmal halt, wenn er Wasser sah, und er trank, was sich nur an Wasser fand. Um Dörfer beschrieben sie einen Bogen; es war leicht, die Dörfer aus der Ferne wahrzunehmen, denn ein Bambushag umgab die größeren, und die kleineren, die meist nur aus zehn bis zwanzig Häusern bestanden, erhoben sich auf Holzpfählen. Sheng und sein Begleiter hielten sich an die Felder, und wo Hügel waren, da verbargen sie sich dahinter. Dies war nicht schwer, weil die Wege sich wanden und scheinbar ins Blaue hinein führten. Wo der Reis hoch stand, folgten sie den Wegen zwischen den Feldern.
Mehrmals starrte ein burmanischer Bauer sie an; wenn Sheng das bemerkte, deutete er auf seinen verwundeten Arm, als wäre er auf der Suche nach einem Arzt, worauf der Bauer entweder nickte oder ihn mitleidvoll betrachtete; und so gingen sie weiter. Nur einmal wurden sie angehalten, und zwar von einem älteren Mann mit tatkräftigem Aussehen und wachem Blick in den glänzenden schwarzen Augen. Als er Shengs Arm wahrnahm, rief er und zog Sheng an der andern Hand, und Sheng, der hier keinen Streit anfangen wollte, ließ sich von ihm in ein nahe gelegenes Dorf führen. In diesem Dorf gab es nur eine einzige Straße, an der kleine offene Läden und zwei Schmieden lagen; an ihrem Ende befand sich ein Kloster. Ohne Zögern schleppte der Mann Sheng durch das Tor des Klosters und dann in einen Raum, wo ein alter Mann saß, ein ehrwürdiger, guter alter Mann in einem Talar. Auf diese Gestalt deutete der Mann und sagte laut zu Sheng: »Pong yi – pong yi!«
Wie aber konnte Sheng dieses Wort verstehen? Er konnte nur verständnislos dreinblicken. Darauf sprach der Schwarzäugige rasch auf den Alten ein; nun hob der Alte Shengs zerrissenen Ärmel von der Wunde, betrachtete die Entzündung, schüttelte den Kopf und seufzte ein paarmal, wie um zu sagen, daß dies eine ernste Sache sei. Dann stand er langsam auf, begab sich gemächlich in ein anderes Zimmer und kehrte mit einem weißen Porzellantöpfchen zurück, in dem eine weiche, schwarze Salbe war. Mit seinem langen, dünnen Zeigefinger schöpfte er von der Salbe, bedeutete Sheng, den Arm hinzuhalten, und schmierte die Salbe auf die entzündete Wunde. Zuerst glaubte Sheng vor Schmerzen laut aufschreien zu müssen, denn die Salbe brannte wie Feuer in der Wunde. Aber um des Anstands willen hielt er an sich, und bald verwandelte sich das Feuer in Kühle, dann fühlte sich der Arm stumpf an, und nach einer kleinen Weile schmerzte er überhaupt nicht mehr. Ungemein dankbar war er dafür, und er zog seinen Geldbeutel aus dem Gürtel, um den Alten zu bezahlen, aber nein, der Alte wollte nichts annehmen und ebensowenig der Mann, der Sheng hergebracht hatte. Der Schwarzäugige führte ihn zum Dorfeingang zurück, und obwohl Sheng nochmals in ihn drang, ließ der Mann sich nichts geben. So ging Sheng seines Weges, verwundert über die Tatsache, daß sich sogar in diesem feindlichen Land Menschen fanden, die freundlich sein konnten, noch dazu für nichts.
Da nun die Schmerzen für eine Weile gelindert waren, vermochte er mühelos zu gehen, und dies tat er, bis er sich darauf besann, daß der Jüngling hinter ihm hungrig sein mußte. Freilich war er das, und so sagte Sheng: »Wenn wir das nächste Mal Nahrungsmittel sehen, wollen wir haltmachen und sie kaufen, anstatt unsern kleinen Mundvorrat zu verzehren.«
Eine Zeitlang wanderten sie weiter. Jetzt konnte Sheng um sich blicken und die Gegend betrachten. Es war ein so reiches und fruchtbares Land, als sich nur denken ließ. Er sah, was er noch nie zuvor irgendwo gesehen: Reissetzlinge und reifen Reis zu gleicher Zeit, denn hier gab es keinen Winter und keinen Sommer wie in seiner Heimat, sondern das Land war fortdauernd grün.
Nach einer Weile trafen sie einen Mann, der eine Garküche trug. Er verkaufte gebackene Reisklöße, und jeder erstand bei ihm fünf dieser heißen Klöße. Sie ließen sich am Straßenrand unter einem Baum nieder, der sehr feine Blätter hatte und zartrosafarbene
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