Das Geloebnis
seinem Kopf drehte es sich, und seine Augen brannten. Er rannte weiter, und in ihm war mehr Kraft, als er jemals gespürt hatte.
Hinter sich hörte er die Männer schnaufen und ächzen, aber er achtete nicht darauf, sondern spornte sie weiterhin zum äußersten Marschtempo an. Bevor die Morgendämmerung anbrach, gewahrte er die niedrigen Zelte des feindlichen Lagers. Doch noch immer wollte er nicht rasten; er brüllte wie ein Stier, als er sie sah, und er ermunterte seine Leute, mit ihm zu brüllen, und mit allgemeinem Geschrei überfielen sie die Gegner, die noch halb schliefen und keineswegs eines Angriffs gewärtig waren.
Shengs Männer aber folgten ihm, als wäre er ein Gott, und als sie seine Tollheit sahen, wurden sie gleichfalls toll; sie stießen mit den Bajonetten Gegner nieder, wo immer sie einen erblickten. Zuerst feuerten sie, doch waren die Waffen vieler alt und mußten für den nächsten Schuß neu geladen werden, was Zeit erforderte; um diese Verzögerung zu umgehen, stachen und säbelten und zerfleischten sie lieber drauflos; sie erwürgten Menschen mit ihren beiden Händen, bohrten ihnen mit den Daumen die Augen aus, schnitten ihnen die Ohren ab und stampften ihnen die Absätze in den Bauch, hieben ihnen den Kopf ein und warfen die Sterbenden in den Fluß. Ihnen voran war Sheng gleich einem Dämon, mit roten, flammenden Augen, mit geöffnetem Mund, ohne Unterlaß schreiend. Wer ihn sah, der wurde von Furcht erfüllt, und seine eigenen Soldaten schworen einander, noch nie hätten sie einen Mann so rasend gesehen wie Sheng in dieser Schlacht. Er gebrauchte seinen verwundeten Arm, als wäre er gesund, denn jetzt war sein ganzer Körper von Schmerz durchdrungen, wie ein Gefäß mit dunklem Wein gefüllt ist, und er war trunken.
So angeführt, fegten seine Soldaten die Gegner zur Seite; in die Bresche strömten die ermatteten Weißen, mit ihnen die Inder, und sie entkamen der Falle, in der sie festgesessen hatten. Diejenigen von Shengs Soldaten, die sich in den hintersten Reihen befanden, sahen die Weißen vorbeiziehen, größtenteils zu Fuß, verwundet, einige in zerbrochenen, einige in unbeschädigten Fahrzeugen. Etliche winkten und riefen ihren Befreiern zu, aber deren waren wenige. Die meisten strebten weiter, ohne auf etwas anderes bedacht zu sein als auf ihre eigene Lebensrettung. Ein paarmal geschah es, daß infolge des Drängens und Stoßens einige Leute in das Strudel bildende, trübe Wasser des Flusses fielen, aber niemand hielt inne, um ihnen zu helfen.
An der Spitze seiner Soldaten war Sheng immer weiter gestürmt, und in seiner fieberhaften Kraft und Verwirrung hatte er vergessen, weshalb er sich hier befand; er wußte nur noch, daß er die Gegner schlagen sollte. Er führte weiter an, hinter ihm drängten sich seine Gefolgsleute, und sie kämpften, bis Sheng sich plötzlich von einer starken Hand am Gürtel gepackt fühlte.
»Wahnsinniger!« hörte er Charlie rufen. »Willst du dich etwa heute noch bis Indien durchkämpfen? Kehr um … kehr um … in deinem Rücken werden deine Soldaten umgebracht! Der Feind macht einen Gegenangriff vom Süden her, Sohn eines Hundes!«
Da wandte Sheng sich um und stammelte keuchend: »Sind wir … sind wir über die Brücke?«
»Die Brücke liegt über zwei Kilometer hinter dir!« schrie Charlie. Er versetzte Sheng einen kräftigen Stoß, während er sprach, und Sheng begann zurückzulaufen, mit ihm die Soldaten, die er zu weit geführt hatte. Wie Hunde rannten sie die zwei Kilometer am Flußufer entlang zu der Stelle, wo die Brücke gewesen war. Dort standen sie und starrten über den Fluß.
Auf der anderen Seite war der Brückenbogen zerbrochen, und das Wasser rauschte dahin. Die Strömung ergriff das niederhängende Ende und setzte ihm hart zu; vor den Augen der Männer brach noch ein Stück der Brücke ab und wurde im Triumph davongetragen.
»Die Brücke …«, stammelte Sheng, »die Brücke …« Aber sein benebeltes Hirn ließ ihn den Satz nicht beenden. Der schweigsame Bursche sprach statt seiner. Seine junge Stimme erhob sich zu einem hellen, durchdringenden Schrei. »O meine Mutter, meine Mutter!« rief er. »Die Weißen haben die Brücke gesprengt!«
Bei diesen Worten wallte Shengs Blut auf und füllte ihm den Kopf. Er brach in ein wildes Gelächter aus.
»Unsere Verbündeten …«, brüllte er, »unsere Verbündeten …«
Er fühlte seinen Kopf bersten und in zwei Teile zerspringen, als hätte eine Axt ihn gespalten, und er
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