Das Geloebnis
getan haben können«, versetzte er.
Wieder wechselte Charlie die Sprache und gab die Antwort an Sheng weiter.
»Weiß er nicht, was geschehen ist?« erkundigte sich Sheng.
»Er weiß nichts«, gab Charlie zurück.
Nach einem Augenblick des Nachdenkens erklärte Sheng: »Dieser Mann ist ein Deserteur. Frag ihn, warum.«
»Weshalb haben Sie die Armee verlassen?« fragte Charlie den Engländer. Dougalls junges weißes Gesicht wurde abermals rot. »Ich hatte es satt«, erwiderte er. »Jeder konnte sehen, daß wir besiegt waren«, fügte er nach einer kleinen Weile hinzu. Er betrachtete seine lange, blasse Hand. Sie war mit roten Schrammen bedeckt; die Nägel waren abgebrochen und schwarz. »Es war einfach zu dumm«, fuhr er schließlich fort. »Die Kommandanten wußten selber nicht, was sie taten, als sie sich so rasch zurückzogen. Jeder war sich selbst überlassen.« Er lächelte beschämt. »Was hat denn das Ganze für einen Sinn?« sagte er in seiner offenen, vertraulichen Weise. »Wenn wir den Krieg gewinnen, wird das alles an uns zurückfallen. Wenn wir verlieren … je nun …« Er zuckte die Schultern. »Was für einen Zweck hätte es dann, für dieses blöde kleine Heidenland zu kämpfen?«
Dies übersetzte Charlie, und Sheng stöhnte in seiner Schwäche. »Frag ihn, was er nun vorhat«, befahl er.
»Was wollen Sie jetzt tun?«
»Ich?« Dougall hob den Kopf und blickte einen nach dem andern an. »Oh, ich will ganz einfach mit Ihnen gehen, wenn Sie nichts dagegen haben. Es war ein großes Glück für mich, daß ich Sie getroffen habe … ich meine, weil Sie Englisch können, verstehen Sie.«
»Er sagt, daß er mit uns kommen will«, berichtete Charlie an Sheng weiter.
Sheng schloß die Augen.
»Er hat dir einige Pillen gegeben, die er hatte«, betonte Charlie. »Außerdem hat er dir ein Lager aus Farnen bereitet und deinen Arm an die Sonne gehalten, damit er heilt. Kann ein Mensch etwas dafür, wenn seine Mutter einen Dummkopf geboren hat?«
Sheng lächelte bitter, ohne die Augen zu öffnen. »Da er unser Verbündeter ist, soll er mitkommen«, entschied er.
Zwei Tage später machten sie sich auf den Weg gen Westen. Sheng war wieder auf den Füßen, sehr schwach noch, aber bereit zu leben.
19
Der General blickte den Amerikaner an. Er ließ sein Gesicht ganz ausdruckslos erscheinen, um den Abscheu und die Abneigung zu verbergen, die in seinem Innern bis zu seinen Fingerspitzen kribbelten. Es verlangte ihn zu sagen, was er fühlte: daß nichts, was dieser Amerikaner tun konnte, irgendeinen retten würde. Es verlangte ihn zu sagen, was sie alle wußten: daß die Schlacht hier verloren gewesen war, ehe einer von ihnen diesen Boden betreten hatte.
»Ich habe eine Division geopfert«, sagte er. »Keiner von den Leuten ist zurückgekehrt. Wo sind sie?«
»Der Himmel mag es wissen«, erwiderte der Amerikaner. »Noch nie habe ich von einer verschwundenen Division gehört, aber so ist es.«
Der General beschloß, Geduld zu üben. »Es ist unmöglich für eine Truppe, allein zu kämpfen, versteht Ihr«, sagte er. Er redete absichtlich einfach und klar. Der Fremde war stolz auf seine chinesischen Sprachkenntnisse, aber er wußte nicht, daß er wie ein Fremder die Worte setzte, da er sie von einfachen Menschen gelernt hatte. »Ihr versteht? Mir wurde befohlen, einen Frontabschnitt zu halten. Ich halte ihn. Meine Leute kämpfen mit Todesverachtung. Dann wurde uns befohlen, uns zurückzuziehen, damit die Front bereinigt werden kann. Was entdeckten wir? Während wir kämpfen, haben sich unsere Verbündeten zurückgezogen, ohne uns zu benachrichtigen. Wir müssen aufgeben, was wir unter Einsatz unseres Lebens gehalten haben. Ist das die Art und Weise, einen Sieg zu erkämpfen?«
Die hageren Wangen des Amerikaners überzogen sich mit Röte. Er antwortete nicht.
»Ihr Weißen«, sagte der General deutlich, »ihr seid entschlossen, euch gegenseitig das Leben zu retten.«
Er schlug sich aufs Knie und stand auf, grüßte knapp, machte kehrt und schritt von dannen. Einem Wachtposten nickte er kurz zu; seine Leibwache folgte ihm im gleichen Schritt, während er, den schlanken Körper sehr aufrecht tragend, zu seinem Quartier ging. Er war überzeugt, daß er seine Frau und seine vier Söhne nie wiedersehen würde. Diese Überzeugung machte ihn innerlich kalt, wie er sich einmal gefühlt, nachdem er eine fremdländische gefrorene Speise gegessen hatte – Eiscreme wurde sie genannt. Im Magen war jetzt die gleiche
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