Das Geloebnis
immer wieder freundlich und gefällig gezeigt. Er bereitete Sheng ein bequemes Lager, indem er Farnblätter pflückte und daraus eine Matratze machte. Er wusch sein Taschentuch und seihte das Wasser für Sheng zum Trinken; er saß da und hielt Shengs verwundeten Arm an die Sonne, deren schräge Strahlen durch das grüne Teakgewölbe drangen, und wehrte den Mücken und Fliegen. »Die Sonne heilt solche Entzündungen«, erklärte er. »Das hat man uns immer wieder gelehrt.«
Vom Rückzug hatte keiner von ihnen gesprochen.
Seufzend stand Charlie auf. Er haßte diese Wälder. In der Stille begannen ringsum kleine Geräusche laut zu werden. Tiere schlichen herbei, um ihn zu betrachten. Eine Eidechse huschte unter dem Baumstamm zu seinen Füßen hervor, blickte auf, und kaum nahm sie ihn wahr, so zuckte sie erschrocken über das niedergedrückte Gras; ihr himmelblauer Schwanz war wie ein Komet. Mücken umschwirrten ihn. Im Urwald gab es keinen Frieden für den Menschen, keine Sicherheit. Was nun? Sie mußten irgendwie hinausgelangen und sich gen Westen durchschlagen, bis sie den General fanden. Wenigstens hatten sie getan, wozu sie ausgesandt worden waren. Sie hatten die Engländer befreit.
Er folgte den Spuren, die er selber geschaffen, obwohl sie schon ziemlich verwischt waren. Die gebeugten Zweige richteten sich wieder auf, und die niedergetretenen Gräser streckten sich. Noch eine Stunde, und es würde aussehen, als wäre nie ein menschlicher Fuß diesen Weg geschritten. Aber in weniger als einer Stunde gelangte er zu der kleinen Lichtung, die sie zu ihrem Versteck gewählt hatten. Er fand Sheng wach; sein Blick war klar und verständig. Der Engländer hatte ihn an einen Haufen kleiner Zweige gelehnt; er selber stand daneben, die Hände in die Hüften gestützt, und blickte auf Sheng nieder.
»Ich hoffte gerade, daß Sie bald zurückkommen würden«, sagte er äußerst erfreut zu Charlie. »Der arme Kerl kam zu sich, kaum daß Sie fortgegangen waren. Das hat wohl das Ei bewirkt. Aber er versteht kein Wort Englisch, was?«
»Kein Wort«, bestätigte Charlie.
Da begann Sheng, als ob der Engländer gar nicht da wäre, in seiner eigenen Sprache zu reden, noch mit schwacher Stimme, aber doch bestimmten Tones.
»Wo sind meine Leute?« fragte er.
Einen Augenblick meinte Charlie im stillen, er müsse Sheng die Wahrheit noch eine Weile vorenthalten. Aber dann entschied er rasch, daß die Wahrheit gesagt werden solle. Mochte Sheng sie ertragen, wie er konnte, und seine Kraft für die Rückkehr sammeln.
»Deine Leute sind vernichtet«, antwortete er.
»Vernichtet?« wiederholte Sheng.
»Die Weißen haben die Brücke hinter sich gesprengt«, sagte Charlie. »Erinnerst du dich?«
Sheng nickte, die dunklen Augen auf Charlies Gesicht gerichtet.
»Im gleichen Augenblick kamen die Gegner aus dem Dorf, und mit ihnen gelbgekleidete Priester«, fuhr Charlie fort. »Ich sah sie auf uns zustürzen, und gerade da fielst du um, und ich fing dich auf. Plötzlich tauchte der Inder auf – er war uns gefolgt. Er half mir, und wir flüchteten hierher. Wie aber soll ich wissen, was aus den andern geworden ist? Ich sah die Gegner über sie herfallen; ihre Gewehre sprühten Feuer, und ihre Bajonette glänzten und stießen zu. Aber ich trug dich mit dem Inder in den Wald. Einen halben Tag lang rasteten wir überhaupt nicht.«
Sheng hob die Augen zu dem Engländer, ließ sie über den großen, mageren jungen Mann gleiten, der kein Wort von dem, was Charlie gesagt, erfaßt hatte. Jetzt stand er nur da und grinste wie ein Junge gutmütig.
»Wer ist dieser lange weiße Rettich?« erkundigte sich Sheng bei Charlie.
»Ich stolperte im Wald über ihn, und er erwürgte mich fast, weil er mich irrtümlicherweise für einen Teufel hielt, und dann kam er mit mir, nachdem ich ihn belehrt hatte.«
Die beiden Chinesen und der Inder starrten Dougall an, der ihren Blicken geduldig, noch immer gutmütig lächelnd, standhielt.
»Sagte er, warum sie uns, nachdem wir sie gerettet hatten, ohne einen Ausweg im Stich gelassen haben?« forschte Sheng.
»Ich habe ihn nicht danach gefragt«, antwortete Charlie.
»Dann frag ihn jetzt«, befahl Sheng.
So wechselte Charlie ohne weitere Umstände die Sprache und sagte zu dem Engländer: »Warum habt ihr die Brücke hinter euch gesprengt und uns auf diese Weise den Weg abgeschnitten, nachdem wir euch aus der Klemme geholfen haben?«
Dougall riß seine blauen Augen auf. »Ich bin sicher, daß wir das nicht
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