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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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beiden; sie fühlte ihre Gewalt und ihr Anziehungskraft, durch die sie irgendwie in den Kreis mit einbezogen und gleichzeitig ausgeschlossen wurde, denn dieser Mann und diese Frau lebten miteinander allein, wo immer sie sich befanden, und doch drehte sich die Welt um sie.
    Und all dies zeigte sich im heitersten Lachen, in den fröhlichsten Worten, in der ernstesten Erklärung. So erzählte die hohe Dame von einer kleinen Bemerkung, die ein Kind in einem ihrer Waisenhäuser gemacht hatte. Am vergangenen Tag hatte ein Büblein gefragt: »Muß ich denn lesen?«
    »Ja«, hatte sie erwidert, »du mußt lesen, weil alle Kinder lesen lernen müssen.«
    »Aber ich habe keine Zeit zum Lesen«, hatte er geklagt. »Ich muß den Feind bekämpfen. Bitte lehrt mich erst ein Gewehr abfeuern.«
    Nach herzlichem Lachen sagte die hohe Dame: »Allen Kindern soll das Schießen und das Lesen beigebracht werden. In dieser Welt haben wir gelitten, weil wir nur das Lesen und nicht das Schießen erlernt haben.« Dann fügte sie noch ernster hinzu: »In diesem Krieg hätte sich ein Weg zu einer neuen Welt anbahnen sollen, wo wir ihnen vertrauen könnten, aber jetzt können wir nicht vertrauen. Sie brechen das Gelöbnis, das sie uns gegeben haben, immer wieder.«
    Aber der Präsident ließ diesen Beitrag zu ihrer Streitfrage nicht gelten. Er stand auf, nachdem er sein Mahl beendet hatte, und nahm seine Teeschale zur Hand, um noch einen letzten Schluck heißen Tee zu trinken, bevor er fortging. »Ich will das noch nicht denken«, entgegnete er. »Und weil ich noch immer an meine Verbündeten glaube, schicke ich meine besten Divisionen nach Burma. Wenn wir gemeinsam kämpfen, die Schlacht gewinnen und die Große Straße offenhalten können, dann werde ich wissen, daß du unrecht hast.«
    Er nickte Mayli rasch zu und entfernte sich. So blieben die beiden Frauen allein am Tisch zurück. Einen Augenblick herrschte Stille, als wäre mit seinem Fortgang alle Tatkraft von seinem Weib genommen worden. Sie hatte ihren rundlichen bloßen Ellenbogen auf den Tisch gestützt, hielt die Augen gesenkt und ließ ihre Gedanken mit ihm wandern. Als sie die Augen hob, gewahrte Mayli Furcht darin.
    »Ich habe Angst«, bekannte sie. »Ich habe große Angst.«
    »Wovor?« fragte Mayli.
    »Ich habe Angst vor diesem Feldzug. Er sendet unsere besten, unsere geübtesten und reifsten Soldaten aus, gerade diejenigen, die er für unser eigenes Land behalten sollte, wie ich ihm sagte. Was, wenn der Feind gegen uns vorrückt, während diese Divisionen in Burma sind? Er schätzt sie so hoch, daß es ist, als ob er seine eigenen Söhne fortschickte. Und doch behauptet er, daß er seine Besten senden muß.«
    Sie sprach englisch, wie immer, wenn ihr Gatte nicht anwesend war. »Ich fürchte mich vor der Wirkung auf ihn«, fügte sie hinzu, »wenn der Feldzug nicht gut ausgeht.«
    »Warum sollte er nicht gut ausgehen?« fragte Mayli.
    Die hohe Dame schüttelte den Kopf. Ihr schönes Antlitz war jetzt sehr traurig. »Es gibt Gründe«, erwiderte sie. »Es gibt Gründe. Ich wünschte, ich wäre ein Mann und könnte selber eine Division führen; dann würde ich dafür sorgen, daß diese Gründe nicht das Obergewicht erlangen.« Sie seufzte tief. »Ich wünschte, ich wüßte von Tag zu Tag, was geschieht, so daß wir, wenn die Schlacht gewonnen ist – oder verloren –, die Wahrheit kennen und nicht mehr irregeführt werden können.«
    Maylis Herz hüpfte. »Schicken Sie mich an Ihrer Stelle«, hat sie. »Ich will die Augen offenhalten und Ihnen zuverlässig berichten, was ich sehe und was geschieht.«
    Die hohe Dame hob den Kopf und heftete ihre eindrucksvollen Augen auf Maylis Gesicht. »Es ist zu gefährlich«, entgegnete sie. »Ich muß an Ihren Vater und Ihre Mutter denken.« Aber sie wandte die Augen nicht von Maylis Gesicht.
    »Sie wissen, daß Väter und Mütter nichts bedeuten«, sagte Mayli ruhig. »Sie wissen, heutzutage ist nur eines bedeutungsvoll – daß jeder seine Pflicht tut. Wenn Frauen an der Seite von Männern in der Armee kämpfen können, wenn Frauen Tausende von Kilometern neben Männern marschieren können, dann kann auch ich das tun.«
    »Ja«, stimmte die hohe Dame zu. »Sie können es. Denn wenn ich Sie wäre, könnte ich es. Aber als was wollen Sie mitgehen? In jenen Divisionen gibt es keine Frauen. Verstehen Sie etwas von Medizin?«
    »Nein. Aber ich könnte für diejenigen sorgen, die etwas davon verstehen. Lassen Sie mich für die Pflegerinnen

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