Das Geloebnis
daraufbiß.
»Krankenpflegerinnen!« schrie eine Männerstimme. »Hierher! Hierher!«
Ein kleiner Leutnant, der mit einem Stück Papier wedelte, rief ihnen zu, und rasch trat Mayli vor, mit ihr alle andern, und dann begaben sie sich zu den Wagen, die für sie bereitstanden. Sie kletterten hinein; Mayli wurde der Platz neben dem Fahrer angewiesen, einem großen Burschen mit gewöhnlichem Gesicht und kleinen Äuglein unter borstigen, steifen Brauen.
Ein paar Schreie wurden laut, erregtes Lachen erklang, und dann waren alle zur Abfahrt bereit. Der Wagen, in dem Mayli saß, war der erste der vier für die Pflegerinnen. Als jedoch der Fahrer einen Hebel betätigte, setzte er sich nicht in Bewegung. Der Mann stemmte beide Füße auf und drückte einen anderen Hebel nieder, aber noch immer rührte der Wagen sich nicht. Daraufhin schrie der Fahrer laut auf, schlug sich die Schläfen mit den Händen und verwünschte den Wagen nach Kräften.
»Du, der du mit deiner eigenen Mutter geschlafen hast!« brüllte er den Wagen an. »Habe ich dich nicht mit fremdländischen Ölen vollgestopft und Wasser in deinen Bauch gegossen? Habe ich den Göttern nicht gestern Weihrauch für dich geopfert? Was willst du denn jetzt noch mehr?« Er sprang von seinem Sitz hinunter und versetzte dem unteren Teil des Wagens wohlgezielte Fußtritte; dann setzte er sich wieder an seinen Platz und betätigte einen dritten Hebel.
Alles war zwecklos. Der Wagen knurrte und zischte und schnaubte innerlich, aber er rührte sich nicht. Plötzlich aber gewahrte Mayli, die schon öfter in einem fremdländischen Wagen gesessen hatte, einen kleinen Hebel und wies darauf.
»Laßt das zurückspringen«, befahl sie dem Mann.
Er grinste sie an und tat, wie geheißen. Sogleich setzte sich der Wagen in Bewegung. Der Mann war nicht im geringsten bedrückt, daß er gerade diese Notwendigkeit unterlassen hatte, sondern er beklagte sich sogar, während der Wagen über die unebene Straße holperte. »Das Dumme bei diesen ausländischen Erfindungen ist meiner Meinung nach, daß sie nie vollkommen sind. Wenn die Ausländer in diesen Dingen so geschickt sind, warum machen sie sie dann nicht vollkommen und fügen eine selbsttätige Bremse hinzu, so daß der Wagen selber an seine Bedürfnisse denkt? Wie kann mein verfluchtes Gehirn für mich und noch dazu für einen Wagen denken? Muß denn alles auf mir ruhen?«
In diesem Augenblick entdeckte Mayli, daß die Haube des Wagens entfernt worden war, so daß der Motor Staub und Regen ausgesetzt war. »Ist es nicht unklug, die Motorhaube abzunehmen?« meinte sie. »Bei Regen können wir dann vielleicht nicht weiter, oder aber der Motor arbeitet nicht mehr, weil er voll Staub ist.«
Der Fahrer schob sein Käppi über sein eines Auge. »Was bin ich, daß ich einen Deckel zwanzigmal am Tag abnehmen und wieder aufsetzen muß?« entgegnete er. »Ich hab’ das verdammte Ding fortgenommen.«
Dies sagte er mit der fröhlichsten und sorglosesten Miene, und die ganze Zeit, während er redete, trieb er das Fahrzeug wie ein wildes Tier die Straße hinunter. Mayli verschlug es bald die Sprache; sie konnte nichts anderes tun, als sich an ihren Sitz klammern und die Füße fest gegen den Boden stemmen, denn sie wurde hin und her geworfen, durch und durch geschüttelt. Ohne die Geschwindigkeit im mindesten herabzumindern, bemerkte der Mann grinsend zu ihr: »Es wäre besser, wenn Ihr einen zweiten Soldaten auf Eure andre Seite setzen würdet; dann hättet Ihr uns beide als Kissen.«
»Könnt Ihr … könnt Ihr … nicht etwas langsamer fahren?« stieß sie atemlos hervor.
Aber er schüttelte den Kopf. »Dieser verfluchte Sohn einer unzüchtigen Mutter!« rief er ihr durch das Geratter zu. »Wenn ich ihn langsamer gehen lasse, denkt er, es sei Zeit zur Rast. Nein, wenn ich ihn einmal habe wissen lassen, daß es Zeit zum Laufen ist, muß ich ihn weitertreiben, bis ich selber hungrig bin und für eine Mahlzeit haltmache. Außerdem läuft er am Nachmittag nie so gut wie am Vormittag. Arbeiten die Ausländer nachmittags nicht?«
Sie schüttelte den Kopf und versuchte gar nicht erst zu antworten außer mit einem Lachen, weil ihr zum Reden kein Atem mehr blieb.
Wie willkommen war an diesem Tag die Mittagszeit! Ohne ein Wort der Ankündigung hielt der Fahrer den Wagen jählings an und packte Mayli bei den Schultern, um zu verhindern, daß sie kopfüber hinaussauste, denn die Windschutzscheibe war nicht mehr vorhanden. Die plötzliche Stille
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