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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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danach erkundigt hatte. Aber das hatte sie unterlassen. Namen schienen so bedeutungslos. Sie alle bewegten sich gemeinsam vorwärts, und der Name eines einzelnen war nichts.

8
    Mayli sagte sich selbst, daß sie gewiß nicht schlafen könnte. Noch nie im Leben hatte sie auf dem Boden geruht. Die vier Mädchen hatten ein wenig Stroh für sich aufgehäuft, und nachdem sie sich überzeugt, daß alle gefüttert und wohlversorgt an ihrem Platz waren, hatte sie sich niedergelegt und sich in ihre Decke gewickelt. Sie schliefen im Hinterhof eines Tempels. Die Männer befanden sich vorn. Der rückwärtige Raum bot so wenig Platz, daß die Hälfte der Frauen draußen schlafen mußte, und Mayli hatte sich entschlossen, dieses Los zu teilen. Die Nacht war nicht kalt; ihre Stille wurde nur von dem kleinen Wasserfall eines Baches unterbrochen, dessen Lauf vom Hügelhang oberhalb des Tempels durch den Hof gelegt worden war. Das Geplätscher des Wassers quälte ihre Ohren eine Weile, während sie an den Tag zurückdachte.
    »Ich kann gewiß nicht schlafen«, dachte sie, aber es schien bedeutungslos zu sein, ob sie schlafen konnte oder nicht. Was gab es überhaupt Bedeutungsvolles, das einem widerfahren mochte? Ihr fiel ein, daß es sie zum erstenmal in ihrem Dasein bedeutungslos dünkte, was ihr widerfahren würde, nicht nur das, auch Shengs Erleben war bedeutungslos, wo immer er sich befand. Von derselben großen Welle wurden sie westwärts geschwemmt. Vielleicht begegneten sie sich, vielleicht begegneten sie sich nicht – auch dies war ohne Bedeutung. Weiterziehen, den Feind finden, diesen Feind schlagen – das war für sie alle der Lebensinhalt geworden.
    Am Morgen erwachte sie als erste. Einen Augenblick wußte sie nicht, wo sie war. Durch das graue Morgenlicht, jetzt sehr kalt und dunstig, hörte sie den dünnen Krähversuch eines jungen Hahnes. Dann sah sie die Lichter, die im Tempel bereits angezündet waren, und nachdem sie noch ein paar Sekunden dagelegen hatte, vernahm sie den tiefen Gesang der Priester beim Morgengebet. Es war ein buddhistischer Tempel, und die Melodie, obwohl so alt, daß kein lebender Mensch sich ihres Ursprungs zu erinnern vermochte, hatte in ihrem Tonfall etwas Fremdartiges. Sie stammte aus Indien, und Indien war auf ihrem Grunde. Mayli hatte Indien nie kennengelernt und auch nie daran gedacht, außer als an eine Farbe auf der Landkarte in der Schule. In dieser grauen Dämmerung, dem Gesang lauschend, dachte sie an Indien als an das Land, dem ihre Gesichter jetzt zugewandt waren. Einst waren Menschen von China nach Indien gezogen, um dort einen neuen und besseren Gott zu suchen. Ein Kaiser hatte zu seinen Boten gesagt: »Ich hörte, daß es in Indien einen Gott gibt, den wir nicht haben. Geht und sucht ihn und bringt ihn her, auf daß wir mit ihm leben.« So waren sie hingegangen und hatten Buddha gefunden.
    Jetzt zogen sie nach Indien, Soldaten, keine Priester. Tausende von Soldaten gingen zu Fuß hin, schweres Geschütz an Seilen und Schulterriemen nach sich ziehend. Sie lagerten nun irgendwo unterwegs. Fünfundvierzig Kilometer betrug ihr Tagesmarsch; sie waren zwei Tage früher als die Wagen aufgebrochen, und die Wagen hatten sie gestern nicht eingeholt.
    Neben ihr hob Chi-ling den Kopf.
    »Seid Ihr wach?« fragte sie.
    »Ich bin wach«, erwiderte Mayli.
    Sie stieß ihre Decke zurück und richtete sich auf. Rings um sie hoben sich Köpfe. Keine hatte mehr geschlafen, sondern alle warteten, und als die jungen Frauen sahen, daß sie wach war, standen sie nacheinander auf, legten ihre Decken zusammen und packten ihre Tornister; fast schweigend geschah dies alles.
    Mayli, die zu den ersten gehörte, begab sich zur Tempelküche. Hier fand sie zwei Priester, die bereits den großen irdenen Herd mit Heu gespeist hatten, und da gab es auch schon einen Kessel mit sehr heißem Wasser.
    »Schöpft Euch«, sagte der alte Priester, der sie nicht anschaute, weil sie eine Frau war. »Das ist Wasser zum Waschen.«
    Sie erblickte ein Zinnbecken, und so schöpfte sie mit einem ausgehöhlten Kürbis von dem heißen Wasser ins Becken, trug es in einen Winkel hinter einen Bambusschirm, wusch sich und kämmte sich die Haare. Sie hatte ihre langen Haare beibehalten; jetzt aber, da sie ihr beim Kämmen über die Schultern fielen, dachte sie: »Was soll ich mit diesem Haar anfangen? Was wird es anderes für mich sein als eine Plage?« Einen Augenblick dachte sie an Sheng und daran, wie sehr er ihre langen Haare

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