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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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nahm ihr Päckchen und ging fort.
    Aber sie vergaß nicht, was er gesagt hatte. Als sie sich am Nachmittag des nächsten Tages einen sehr gefährlichen Teil der Straße hinaufwanden, wuchs die Gefahr plötzlich. Siebzehn feindliche Flugzeuge tauchten aus dem Himmel hinter den Bergen auf. Der Tag war blau und klar, und nirgends gab es ein Versteck. Unter ihnen stürzten die Bergwände dreihundert Meter tief hinab, und vor ihnen stiegen die Grate weiter an. Nirgends war eine Höhle oder ein Felsen, groß genug, um Schutz zu bieten. Auch blieb ihnen keine Zeit mehr. Wie Drachen stürmten die Gegner heran.
    Wer konnte entscheiden, ob man haltmachen oder die Geschwindigkeit beschleunigen sollte?
    »Was würde es auch nützen, wenn wir anhalten und unter die Wagen kriechen würden?« stöhnte Charlie, und er preßte den Gashebel, daß der Wagen vorwärts schoß und die Räder über den Rand der schmalen Straße hinausragten.
    Die bösartigen feindlichen Flugzeuge senkten sich nieder, und nun dröhnten die Täler und krachten die Berge von ihrem Lärm. Mayli klammerte sich mit der Hand fest und stemmte die Füße gegen den schrägen Boden. Sie erkannte sogleich die ganze Gefahr. Jeden Augenblick konnten sie nur noch Trümmer aus Stahl und Holz und Menschenfleisch sein, die in den Abgrund stürzten.
    Dann kamen, ebenso unvermittelt und rasch wie die Gegner, vier weitere Flugzeuge vom Himmel, welche die ersten so geschwind angriffen, daß das Auge nicht zu folgen vermochte. Mayli sah sie bald hoch, bald niedrig, gleich Weberschiffchen glitten sie durch das Feuer der feindlichen Geschütze. Eine solche Luftschlacht hätten sie sich niemals vorgestellt. Die Feinde vergaßen ihren Angriff und wandten sich gegen die vier Flugzeuge, aber wer konnte diese geschickten Himmelsgeschöpfe fangen? Sechs gegnerische Flugzeuge stürzten in die Täler, und die andern flogen fort, ohne eine einzige Bombe abzuwerfen.
    Jetzt hielt Charlie seinen Wagen an, denn die vier Flugzeuge trieben die Gegner weiter, und es war besser zurückzubleiben. Die ganze Wagenreihe machte halt, und alle Insassen blickten zum Himmel empor.
    »Die fliegenden Tiger«, sagte Charlie. Seine Lippen zitterten, und seine Augen glänzten. Er atmete so keuchend, als ob er einen Wettlauf machte.
    »Auf sie!« stieß er während des Kampfes hervor. »Krieg ihn … bravo! Da ist wieder einer hin. Oh, ihr guten Kerle … oh, ihr großartigen Burschen …«
    In weniger als zehn Minuten war alles vorbei, doch als der Himmel wieder klar war, schmerzte Mayli der ganze Körper, als hätte sie mehrere Stunden in einer angespannten Haltung verbracht. Plötzlich tat ihr die Hand weh, und als sie nachsah, entdeckte sie, daß sie ein Metallteil des Sitzes mit aller Gewalt gepreßt und sich dabei ins eigene Fleisch geschnitten hatte.
    Bevor sie jedoch sprechen konnte, hatte sie es schon vergessen. Sie hörte plötzlich ein Gedonner, und da hing neben ihr über der Leere, die sich am Rand der Straße auftat, ein kleines Flugzeug, das ihr sekundenlang ganz nahe war und aus dem das lachende Gesicht eines Amerikaners lehnte. Sie sah ihn winken; dann flog er wieder aufwärts und weiter über die Berggipfel. Ihr fiel ein, was der alte Mann gestern beim Kauf der Schere gesagt hatte – Kinder, die mit Zauberei spielen!
    Das seltsamste Erlebnis aber hatte Mayli am letzten Tag ihrer Fahrt über die Große Straße. Aller Augen waren nun erfüllt von der Schönheit dieser Fahrt in die Höhe der Berge und die Tiefe der Täler, von den Wasserfällen, die Hunderte von Metern durch die Luft schossen. Ihre Augen hatten sich von all dem Geschauten weit geöffnet. Bei Anbruch der Nacht lagerten sie an majestätischen Stätten, in Dörfern, die hoch über einer Schlucht am Berghang klebten, oder in Tempeln, die in einer Einsenkung auf einem Gipfel erbaut waren. Die Großartigkeit dieser Tage machte sie still. Ein Lachen konnte durch zehn Täler widerhallen, ein Schuß das Gestein mächtiger Felsen zum Erbeben bringen. Ohne es selber zu wissen, sprachen sie nur mit gedämpfter Stimme und ließen nur leises Lachen ertönen. Dann sanken die Berge allmählich mit den Tagen zu Hügeln ab, und die kalte, trockene Luft wurde linder. Bambusstangen wuchsen wieder und Lilien und Farne, und schließlich lagen die Berge hinter ihnen; sie kamen ins Tiefland, das nach Burma führte.
    Hier geschah das Seltsame. Eine Stadt, kaum größer als ein Dorf, erwartete sie am Ende des Tages. Mayli hatte wie stets ihre Frauen

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