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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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bildeten, starrte das Volk sie verwundert und ängstlich an. Die Bevölkerung war gemischt; sie bestand aus Chinesen und Burmesen, die man leicht auseinander kannte. Die Burmesen hatten eine dunklere Haut als die Chinesen, waren leichtfüßiger, und ihr ganzes Gehabe zeigte kindliche Fröhlichkeit. Chinesen und Burmesen lebten hier recht gut miteinander, und doch bestand ein wenig Unduldsamkeit zwischen ihnen, denn die Chinesen waren schlauer und bessere Handelsleute als die Burmesen, und dies stimmte manch einen Burmesen ärgerlich, mochte er auch wissen, daß sein chinesischer Nachbar härter arbeitete als er selbst und es deshalb verdiente, rascher reich zu werden. Obwohl einer des andern Tochter heiratete, lebte häufig ein geheimer Zorn im Herzen des Burmesen, im Herzen des Chinesen hingegen leichte, nachsichtige Verachtung, weil der Burmese das Vergnügen allzusehr liebte.
    Dies war offenkundig, und Sheng merkte es schon am ersten Abend, als er durch die Straßen der fremden Stadt bummelte und bei einem Freiluft-Gasthaus haltmachte, um sich nach dem Preis von Konfekt zu erkundigen. All die Tage hatte er nur Reis und getrockneten Fisch gegessen, dazu die Gemüsesorten, die sich unterwegs fanden, und jetzt verlangte es seine Zunge nach etwas Süßem. Der Wirt war ein Burmese, der Sheng finster betrachtete und ihm mit so leiser Stimme Auskunft gab, daß Sheng kein Wort verstand und geradeheraus fragte: »Wollt Ihr mir Eure Ware verkaufen oder nicht?«
    Der Burmese sprach recht gut chinesisch, und er sagte: »Was kümmert es mich, wer meine Süßigkeiten ißt, wenn er nur zahlt; aber wie soll ich wissen, daß Ihr Geld habt? Erst vorhin hat mich ein Chinese betrogen.«
    Darüber ärgerte sich Sheng, und er warf seine Münze auf den Tisch. Da beruhigte sich der Burmese, denn diesem Volk fällt es schwer, längere Zeit schlechte Laune zu haben. Er wickelte das Konfekt in eine zusammengedrehte Zeitung und bemerkte, während er es Sheng reichte: »Seid nicht böse mit mir. Wurde ein Mann zweimal von einem Hund gebissen, so ist er ein Narr, wenn er das drittemal etwas anderes erwartet.«
    »Wieso ein Hund?« forschte Sheng. »Und wieso gebissen?«
    Der Burmese zuckte die Schultern. »Je weiter Ihr ins Land kommt, desto mehr werdet Ihr verstehen, was ich meine. Zwischen den Chinesen und den Engländern werden wir Burmesen zerquetscht, wie ein Bettler eine Laus zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetscht.«
    »Den Engländern?« wiederholte Sheng, der das fremdländische Wort nicht begriff.
    »Ihr nennt sie die Leute von Ying«, erklärte der Mann. »Die Engländer! Sie herrschen über uns zu ihrem eigenen Besten, und die Chinesen schnappen uns das Geschäft weg. Die Wahrheit ist, daß wir euch alle hassen.«
    Dies sagte der Mann mit einem großen Lachausbruch; er spuckte auf seinen eigenen Boden, rieb sich die Hände, stampfte mit dem Fuß auf und fühlte sich besser. Sheng ging mit seinem Konfekt fort und kaute nachdenklich, während er dahinschritt, die Süßigkeiten, deren Geschmack ihm fremd war.
    Jedermann konnte sehen, daß die Besitzer der gedeihlichen Läden längs der Straße fast immer Chinesen waren. Bei einem davon machte er halt, um sich Baumwollsocken zu kaufen, weil seine linke Ferse vom Marschieren durchgescheuert war.
    Hinter dem Ladentisch stand ein älterer Mann, mit dem Sheng ein Gespräch anknüpfte. Nach der Begrüßung erfuhr er, daß der Mann vom anderen Ende der Großen Straße stammte und daß er erst vor einigen Monaten hierhergekommen war.
    »Ihr habt es rasch zu etwas gebracht.« Sheng blickte sich in dem Laden um, der zwar klein, aber wohlversehen war.
    »Hier kann es jeder zu etwas bringen«, versetzte der Mann. »Die Leute geben ihr Geld leicht aus, und sie lieben fröhlichen Tand und Luxuswaren; sie sind faul und essen und schlafen und lachen gern. Sie sind Kinder.«
    Aber ungezogene Kinder, lautete Shengs stilles Urteil. Denn als er am Abend ins Lager zurückkehrte, rief einer seiner Soldaten: »Blutet Ihr, großer Bruder?«
    »Nein, sicher nicht«, entgegnete Sheng. »Warum fragt Ihr mich das?«
    »Weil Ihr einen Blutfleck hinten auf Eurem Rock habt.«
    Sheng zog seinen Rock aus, und da war tatsächlich hinten ein blutroter Fleck, doch als er ihn genauer untersuchte, stellte er fest, daß er nur von mit Betelnuß gefärbtem Speichel herrührte. Jemand in der Menge hatte ihn, den Mund voll Betel, angespuckt. Als Sheng das sah, tobte und fluchte er, aber was konnte er anderes tun, als den

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