Das Geloebnis
In wenigen Minuten hatte er das Standquartier erreicht, wo die anderen Offiziere schon versammelt waren. Wenn der General irgendwelchen Zweifel hegte, so zeigte sich doch kein Schatten davon auf seinem Gesicht. Er stand hinter seinem Schreibtisch, in den Händen hielt er Papiere, die er las, während er mit tiefer, scharfer Stimme Befehle erteilte.
»Ihr, Pao Chen, formiert mit Euren Leuten die Mittellinie. Yao Yung und Chan Yu, Eure Soldaten bilden die beiden Flanken.«
Er blickte auf; seine raschen Augen erspähten Sheng, und einen Moment glänzte ein Lachen darin auf.
»Ihr seht aus, als hättet Ihr in einem Dornbusch geschlafen, Sheng«, bemerkte er in genau gleichem Ton.
Sheng fuhr sich mit den Händen an den Kopf. In seiner Hast hatte er seine Offizierskappe an der Stelle zurückgelassen, wo er eingeschlafen war, und er fühlte dürre Bambusblätter in seinen Haaren. Eilig kämmte er sie mit den Fingern aus; sein Gesicht war dunkelrot.
»Ich bin ein Wasserbüffel«, murmelte er. »Es braucht nur Ruhe um mich zu sein, und ich schlafe ein wie ein Tier.«
»In den nächsten Tagen wird es keinerlei Ruhe geben«, sagte der General grimmig. »Ihr werdet die Vorhut bilden. Eure Leute müssen noch in dieser Stunde aufbrechen. Ihr führt sie südwärts und dann in westlicher Richtung. Ihr überquert den nächsten Fluß bei der ersten Furt, und zwar so bald wie möglich, denn wir können uns nicht darauf verlassen, daß die Brücken weiter unten noch halten. Es ist gesagt worden, daß die Gegner die Weißen umzingelt haben.«
»Ich bin mit Freuden bereit, Euch zu gehorchen«, erwiderte Sheng. Er salutierte – die Haare standen ihm noch immer zu Berge –, machte kehrt und verließ rasch das Zimmer. Draußen überrannte er beinahe den Arzt, der zum General strebte. Chungs Gesicht war fast so weiß wie die Papiere, die in seiner Hand flatterten.
»Ist der General hier?« rief er dem vorbeieilenden Sheng zu.
»Wo sonst?« schrie Sheng über die Schulter zurück. In der Dunkelheit folgte eine Frau mit schnellen, leichten Schritten dem Arzt, doch Sheng wandte den Kopf nicht, um nach ihr zu blicken.
Diese Frau aber war Mayli. Beim Klang seiner Stimme blieb sie stehen und schaute der Gestalt des eiligst fortstrebenden jungen Mannes nach. Über der Tür des Generals baumelte eine Lampe, deren Licht jedoch nicht so weit drang. Auf der Schwelle drehte Chung sich um und rief ihr zu: »Zögern Sie nicht – wir haben keine Zeit zu verlieren! Wir müssen unsere genauen Anweisungen holen.«
Sie raffte sich zusammen. Wahrlich, es galt keine Zeit zu verlieren, und warum auch sollte sie verweilen? Im Heer gab es Tausende von jungen Männern mit lauten Stimmen, weshalb sollte sie da an Sheng denken?
»Ich zögere nicht«, sagte sie fest und betrat das Zimmer des Generals.
Vor Mitternacht begann der Marsch. Ob man den Weißen noch beizeiten zu Hilfe kommen konnte, war nun die Frage; jegliche alte Feindschaft wurde beiseite geschoben, und einjeder dachte nur noch an die Ehre des eigenen Volkes, dachte daran, daß sie es jetzt waren, die denen zu Hilfe eilten, welche sich stets als Herren und Meister aufgeführt hatten.
»Ausnahmsweise sehen sie uns einmal an«, hatte der General schroff gesagt. Zorniger Stolz hatte aus seinen Augen geblitzt und seine Stimme gehärtet. »Nie zuvor haben wir zu etwas getaugt, jetzt aber, wo sie auf allen Seiten von den Ostmeer-Zwergen eingeschlossen sind, jetzt brauchen sie uns. Nun, sie sollen sehen, was wir sind!«
In diesem Geist tat jedermann seine Pflicht, und der Marsch begann. In ein oder zwei, selbst in drei Tagen war die Strecke nicht zu bewältigen. Das Gelände erwies sich als ihr Feind, und der Straßen waren wenige, denn die Weißen hatten in der Zeit ihrer Herrschaft nur spärlich große Straßen durchs Land gezogen. So mußte man kleinen alten Pfaden folgen, die uneben waren von aufgeweichtem und getrocknetem Lehm, auf denen Steine lagen und die rumplige Bauernwagen ausgefahren hatten. Manchmal waren sie so schmal, daß die Soldaten einzeln gehen mußten, und zweimal mußten sie sich überhaupt erst einen Weg durch Urwald bahnen, doch geschah dies wegen der Schlangen und anderer gefährlicher Tiere bei vollem Tageslicht. Es genügte freilich nicht, auf das zu achten, was am Boden kroch. Der Himmel mußte gleichfalls beobachtet werden, denn über und unter den Wolken kreisten gegnerische Flugzeuge, die just danach Ausschau hielten, ob den belagerten Weißen etwa Hilfe
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