Das Geloebnis
befohlen, durfte diesen Leuten auch nur ein Ei wegnehmen. Nahrungsmittel würden gekauft werden, und sie durften auf nichts Hand legen, das nicht ihr eigen war; selbst wenn ihnen ein Geschenk angeboten wurde, mußten sie es zurückweisen.
»Denkt daran, daß ihr so, wie ihr seid, eurem Land zur Ehre gereicht; aber durch das, was ihr nicht seid, würdet ihr Schande über eure Vorfahren bringen«, hatte der General gesagt.
Deshalb saßen sie zur Mittagszeit, als der Haltebefehl kam, im Freien längs der Straße und verzehrten ihre Ration gebackenen Reis, den sie mit dem in ihren Feldflaschen enthaltenen blassen Tee hinunterspülten.
Die Sonne war heiß und die Straße staubig. Während sie dasaßen, kam eine Schar Kinder über die Felder gelaufen. Die Kleinen blieben ungefähr sechs Meter von ihnen entfernt stehen und starrten zu ihnen hinüber. Als Mayli ihnen eine Handvoll Reis hinstreckte, wichen sie zurück.
»Wie reizend sie sind«, seufzte Chi-ling. »Ich hatte einst einen kleinen Jungen …« Sie erhob sich und zog ihren Gürtel straff; mit dem Rücken zu den Kindern stand sie da. Aber niemand sprach oder antwortete ihr. In diesen Tagen richtete niemand eine Frage an den andern. Wer hatte keinen seiner Lieben verloren?
Dann kam der Befehl zum Weitermarsch. Alle gaben ihren Sitzplatz auf und fielen wieder in den langen, federnden Schritt, der sie dreißig, später vierzig und dann fünfzig Kilometer im Tage weitertrug. Der Nachmittag verging, und die Sonne sank vor ihren Augen, während sie südwärts zum Sittang-Fluß marschierten. Alle wußten, daß die Verbündeten sich vor dem Feind zurückgezogen hatten und daß die chinesischen Truppen auf ihre linke Flanke stoßen und den Feind ins Gefecht ziehen sollten.
Den Feind ins Gefecht ziehen! Diese Worte wurden so leicht gesagt, als handelte es sich um ein Stelldichein, eine Gesellschaft, einen Landausflug; Mayli aber fürchtete die bevorstehende Stunde und hielt ihr Bangen geheim.
In dieser Nacht, ihrer ersten auf fremdem Boden, wurden alle von tiefer Unruhe ergriffen. Sie lagerten bei Sonnenuntergang in einem Tal zwischen niedrigen Bergen. Obwohl sie müde waren, konnten sie nicht schlafen. Über ihnen war der Himmel sowohl im Osten als auch im Westen perlfarbig und rosig, und dann wurde er tiefrot. Ringsum blinkten die Lichter der Dörfer, klein wie Glühwürmchen. Mayli und ihre Frauen hatten ihre Decken ausgebreitet, doch keine von ihnen war zum Schlafen bereit. Die Unruhe der Männer hatte auch sie erfaßt, und sie saßen schweigend da; einige hatten den Kopf in die auf die Knie gestützten Arme gebettet. Etliche aber erhoben sich, standen herum oder schritten dahin und dorthin, wobei sie über die Sitzenden stolperten. Die Mücken sirrten in der Abendluft; hin und wieder vernahm man einen Schlag und einen Fluch, bald immer mehr Schläge und Flüche.
»Warum sind wir so ruhelos?« fragte Mayli sich selbst.
Nur Pansiao schlief. Sie hatte ihre Decke dicht neben Mayli hingelegt und sich hineingewickelt; sogar den Kopf verbarg sie darunter, um sich vor den Insekten zu schützen. Mayli hörte sie tief und regelmäßig wie ein Kind atmen.
Dann vernahm sie plötzlich, wie ihr eigener Name gemurmelt wurde. Die Frauen in ihrer Nähe wiesen auf eine Gestalt außerhalb ihres Kreises. Mayli stand auf und ging zu dem Mann. Es war Pao Chen.
»Der General schickt mich zu Euch«, flüsterte er. »Er läßt fragen, ob Ihr und Eure Frauen nicht kommen und die Soldaten unterhalten könntet – vielleicht mit Singen? Oder mit einem kleinen Theaterstück? Die Soldaten sind beunruhigt und verwirrt. Sie behaupten, die Luft hier sei voll seltsamer Geister.«
Diese Aufforderung kam so unerwartet, daß Mayli eine Weile überlegen mußte. »Ja, wir kommen«, antwortete sie dann hastig. »Siu-chen kann einige fremde Lieder singen, und Hsieh-ying versteht sich auf einen Schwertertanz … und … ja, wir werden uns schon etwas ausdenken. Richtet dem General aus, daß wir nur eine halbe Stunde Zeit brauchen.«
Pao Chen nickte und entfernte sich. Mayli trat in die Mitte des Kreises, klatschte in die Hände, damit alle ihr zuhörten, und dann wiederholte sie den Wunsch des Generals. Mit ihrer klaren, klingenden Stimme, die besser trug als die eines Mannes, rief sie: »Wer kann irgendwie zur Unterhaltung beitragen? Niemand scheue sich! Denkt daran, daß die Männer abgelenkt werden und zum Lachen und zum Schlafen gebracht werden müssen. Wer bereit ist, trete vor – auch
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