Das Geloebnis
Sprache nicht kannten, hielten sie alle für eines Volkes. Hunderte von Jahren hatten sie hier geherrscht, und doch konnten sie keine Gesichter unterscheiden noch eine Sprache von der nächsten.
»Und wir gehen sie retten«, stöhnte der General vor sich hin, und sein Zorn wuchs so sehr, daß er die Schriftstücke, die der amerikanische Kommandant am Nachmittag sandte, um ihm Wegrichtung und Verhaltungsmaßregeln anzugeben, mit der Hand zusammendrückte und wegwarf.
»Ich muß mich auf meine eigene Klugheit verlassen«, sagte er zu sich selbst.
Freilich, sein Zorn sickerte durch seine Stimme und seine Augen, so daß alle, denen er Befehle erteilte, ihn fühlten und ihn einatmeten, ohne es zu wissen. Sie zogen aus, um sich mit ihren Verbündeten zu vereinen, und doch setzten sie kein Vertrauen in diese Verbündeten, auch wenn sie allen guten Willen dazu hatten. Denn einige hatten guten Willen, und selbst diejenigen, die ihn nicht hatten, wußten, daß ihnen keinerlei Wahl blieb. Sie mußten entweder mit den Weißen kämpfen oder gegen sie; gegen sie kämpfen aber hieße, sich mit dem Feind verbünden, und das konnten sie nicht tun.
Und wer erinnerte sich nicht zudem an den Präsidenten, wie er das letztemal vor ihnen gestanden? Seine helle Stimme hatte die Luft wie eine Peitsche über ihren Köpfen durchschnitten.
»Ihr tragt Eure Ehre wie eine Fahne«, hatte der Präsident gerufen. »Jetzt laßt die Weißen sehen, was wir Chinesen tun können. Wenn wir uns auszeichnen, werden sie uns zweifellos endlich als richtige Verbündete in diesem Krieg gegen die Ostmeer-Gegner anerkennen. Wo sonst sollen wir Verbündete suchen gegen diesen Feind, der unser Land einnehmen will, außer bei den Männern von Ying und Mei? Ich vertraue noch immer auf ihren Sieg. Folgt deshalb jenem, den ich über euch gesetzt habe. Nicht, daß ihr einen Weißen als Führer benötigt, aber er soll zwischen euch und den Männern von Ying stehen, die rauher und unfreundlicher zu uns sind. Und doch müssen wir alle Verbündete sein. Zeigt diesem einen, was für Soldaten ihr seid. Unser ganzes Volk blickt auf euch. Männer! Ich befehle euch!«
Während er sprach, hatte seine Gattin hinter ihm gestanden, und als der Präsident diese patriotischen Worte rief, hatte sie ihre kleine, zur Faust geballte Hand über den Kopf gehoben.
Der General sah sie wieder vor sich, wie sie da stand, ein schönes Geschöpf, aber war nicht auch sie eine Fremde? Oft sprachen Männer unter sich davon, daß sie es sei, die den Präsidenten das Bündnis mit den Weißen beibehalten ließ. Denn sie hatte ihre Kindheit im Ausland verbracht, war von Erde und Luft eines Landes ernährt worden, das nicht ihr eigenes gewesen. Man sagte, daß sie die fremde Sprache besser beherrschte als ihre eigene. Freilich, sie redete ihre eigene mit fremdartigen Schnörkeln, benutzte außerdem Bücherwörter, längst vergangene Wörter, die von toten Klassikern stammten; und sie schien die neuzeitliche scharfe Kürze nicht zu kennen. Allerdings lebte sie auch abseits vom gewöhnlichen Volk, denn sie war eine vornehme Dame, mit Ringen an Ohren und Händen.
Er hob den Kopf, um all diese unnützen Gedanken abzuschütteln. Er war Soldat, und vor ihm lag die Pflicht eines Soldaten, klar und einfach. Immerhin kannte er seinen Feind, ob er nun seine Freunde kannte oder nicht. Er blickte auf seine Armbanduhr. Morgen früh sollten sie auf der andern Seite des Flusses sein und die Weißen sichten – falls diese Menschen noch lebten.
Mayli fand in dieser Nacht keinen Schlaf, nicht nur aus Übermüdung. Kampfgeruch lag in der Luft. Alle wußten, daß morgen eine Schlacht stattfinden würde. Für sie aber war es die erste. Jetzt würde sie zum erstenmal Blutende und Sterbende und Pflegebedürftige sehen. Konnte sie ihrer Pflicht nachkommen? Sie fühlte sich beschämt, weil ihr bisheriges Dasein so nutzlos gewesen war. Angenehm und leicht hatte sie dahingelebt, abseits von ihrem eigenen Volk. Dieses Volk war ein Teil von ihr – Blut, das auch in ihren Adern floß, eine Nation, deren Angehörige sie war, aber sie war kein Teil von ihm, wie sonst einer des andern Teil war. In diesem Augenblick verlangte es sie danach, keine andere Sprache reden zu können als die ihres eigenen Volkes. Sie wünschte, sie hätte keine fremdartigen Erinnerungen.
»Wenn ich jemals wieder Muße habe«, dachte sie, »dann werde ich lesen und lesen, doch diesmal keine ausländischen Bücher, sondern nur die Bücher meines
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