Das Geloebnis
Gesichter waren von Erde verkrustet und streifig vom Schweiß; lange hatten sie sich nicht mehr rasiert, und ihre Augen saßen tief in den Höhlen. Man hatte die Verwundeten in den spärlichen Schatten der Sträucher gelegt; einige lagen im Sterben, und viele waren tot. Mayli schlug das Herz im Halse, als sie ihren Frauen ruhig befahl: »Hier ist unsere Arbeit. Wir wollen die noch lebenden Verwundeten in den Schatten des großen Baumes dort drüben legen. Dann soll jede Wasser aus dem Teich holen. Wir wollen uns nicht damit aufhalten, es abzukochen, sondern ich gieße ein Desinfektionsmittel hinein, und dann nimmt sich jede der Schwächsten an. Hsieh-ying, du bist so stark. Sammle etwas Holz, damit wir ein Feuer machen und Essen für sie wärmen können. Zehn sollen die Verwundeten pflegen und zwei Hsieh-ying helfen. Pansiao, du bleibst bei mir.«
So wies sie jeder ihre Arbeit zu, während Chung einen Platz unter dem Baum glättete, ein sauberes Wachstuch ausbreitete, das er seinem Instrumentenkoffer entnahm, Kittel und Handschuhe anzog und alle notwendigen Vorbereitungen traf, um Kugeln herauszuschneiden und Wunden zu nähen. Zum erstenmal geriet Mayli in Streit mit ihm, denn sie brachte es nicht über sich, einen Mann unberücksichtigt zu lassen, dessen Atem noch ging. Aber Chung sagte, indem er auf diesen oder jenen wies: »Lassen Sie ihn sterben; er ist verurteilt. Diesem dort werden gleich die Augen brechen. Wir dürfen uns nur derer annehmen, bei denen Aussicht auf Rettung besteht.«
»Wie können Sie wissen, wer am Leben bleiben wird und wer nicht?« lehnte sie sich auf.
Aber er war unbarmherzig und deutete mit dem Finger auf die Verwundeten, die gepflegt werden sollten. Mayli fühlte Tränen in ihre Augen steigen, während sie unablässig arbeitete; doch gleichwohl nahm sie sich die Zeit, einem Sterbenden einen Trunk Wasser zu reichen, und sie nahm sich auch die Zeit, die beschmutzten Briefe und Bilder von Frauen, Müttern, Kindern zu ergreifen, die ihr hingestreckt wurden. Sogar mit dem letzten Atemzug sammelten die Sterbenden Kraft, um solch ein blutbeflecktes Papier hervorzuholen, es ihr in die Hand zu drücken und mit erstickter Stimme zu murmeln: »Schreiben Sie … schreiben Sie …« Und bevor sie sagen konnten, was geschrieben werden sollte, starb ein Mann nach dem andern.
Ohne es zu merken, begann Mayli zu weinen, nicht laut, sondern mit tiefen inwendigen Schluchzern; ihre Kehle war zugeschnürt, als hätte sich ein Eisenband darum gelegt, und ihre Hände zitterten, während sie alle die Briefe und Zettel und Bilder einsammelte, die diesen Männern als Sinnbild des Liebsten auf Erden gedient hatten.
Sie wollte nicht laut weinen, denn sie wußte recht gut, daß dies nur der erste Tag von vielen gleichen war; aber sie war neu und unerprobt, und an diesem Tag gab es nicht einmal Ruhm, der solchen Schmerz lohnte. Ihre Frauen waren weitaus ruhiger als sie, weil sie diese Arbeit schon früher geleistet hatten, noch dazu für Männer ihrer eigenen Art, wohingegen diese hier Fremde waren. Mayli aber hatte solche junge Männer lebendig und fröhlich gesehen, hatte sie in ihrem eigenen Land gekannt, sorglos, wohlbehütet und geliebt in behaglichen Heimstätten. Sie hatte mit solchen jungen Männern getanzt, hatte sich ihre Verehrung und Verliebtheit gefallen lassen, und für sie waren sie keine Fremden. Es war traurig, sie hier zu erblicken, überlistet und dem Feind ausgeliefert, abgeschnitten und eingeschlossen; sie fühlte keinen Zorn gegen sie, sondern empfand nur Schmerz. Am traurigsten war es jedoch, ihre Dankbarkeit zu sehen, wenn sie ihre eigene Sprache aus Maylis Mund vernahmen.
»Ich habe … seit tausend Jahren … keine Frau mehr … englisch sprechen hören«, seufzte ein blonder junger Bursche. Er schloß seine blauen Augen und ergriff ihre Hand. »Könnten Sie nicht … singen?« hauchte er. »Irgend … etwas?«
Und Mayli, deren Kehle noch immer so zugeschnürt war, daß sie kaum genügend Atem schöpfen konnte zum Singen, nahm alle Kraft zusammen und sang das erste Lied, das ihr in den Sinn kam, das Lied, welches sie vor ein paar Tagen abends gesungen hatte:
»Trink mir mit deinen Augen zu, und ich tu’ dir Bescheid …«
Sie sang zuerst ganz leise, doch dann wurde ihre Kehle frei, und ihre Stimme kam klar und hell. Der sterbende junge Mann lächelte.
»Oh, das ist ja ein englischer Schlager«, flüsterte er. »Woher können Sie …«
Seine Stimme erlosch, und seine Hand
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