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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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sie den Inhalt trinken ließ. Nur mit Sorglosigkeit konnte das Dasein inmitten des Todes gelebt werden; wenn jeden Augenblick der Tod vom Himmel herab oder aus den Sträuchern ringsum kommen mochte – warum sich dann Wasser versagen, nach dem sie verschmachteten?
    Mayli beobachtete ihre Frauen genau, um zu sehen, wie sie den Tag ertrugen; und sie fand, daß sie gut durchhielten. Pansiao, um die sie am meisten gebangt hatte, hielt am besten von allen durch. Inmitten von Hitze, Blut und Tod ging Pansiao umher, holte und trug dieses oder jenes, und wie erhitzt sie auch sein mochte, ihr Gesichtchen zeigte Heiterkeit. Einmal kam sie in Maylis Nähe, Mayli sah sie lächeln.
    »Ich denke die ganze Zeit an den heutigen Abend«, raunte Pansiao ihr zu.
    Sie war wirklich noch ein Kind, und Mayli lächelte zurück, ohne zu sprechen. In all diesem Grauen konnte Pansiao an die eigene Freude des Abends denken. Ihr Seelchen hatte beschlossen, im Grauen keine Bedeutung mehr zu finden. Sie sah einen Mann sterben und empfand dabei nichts, weil sie dies zu oft schon gesehen, und der Tod war jetzt für sie ein Teil des Lebens. Blut und Wunden und Gestank ließ sie unbeachtet, und sie heftete ihren Geist auf etwas Eigenes. Heute war es der Gedanke an ihren Bruder; gestern hingegen war es eine kleine Süßigkeit gewesen, die sie in einem Laden gefunden und für einen Penny gekauft hatte, vorgestern ein verirrtes Kätzchen am Straßenrand. Morgen würde es wieder etwas anderes sein.
    Siu-chen, das junge Mädchen, die eine Inlandschule besucht hatte und die seit dem Angriff auf Nanking Waise war, weinte, während sie arbeitete. Ab und zu hob sie ihre mit Blut und Schmutz beschmierten Hände und wischte sich die Augen; ihr stets rosiges Gesicht war mit Blut befleckt, das nicht ihr eigen war. Aber Mayli bangte um dieses Mädchen nicht, solange es weinen konnte. Ebensowenig bangte sie um Hsieh-ying, die fluchte und schimpfte, während sie sich die schweren Männerkörper auf den Rücken lud und über das Schlachtfeld schleppte oder die leichteren wie Kinder in die Arme nahm. Mayli hörte sie vor sich hin fluchen und schimpfen, als sie in ihre Nähe kam.
    »O meine Mutter und meiner Mutter Mutter, man sehe sich diese Vergeudung an guten Männern an! Oh, diese Teufel, daß ihre Väter Schildkröten wären und daß die Geschlechtsteile ihrer Mütter verfaulten!« Dann schrie sie auf. »Oh, ich kenne ihn, diesen hier, der seine Beine verloren hat! Meine Güte!« rief sie Mayli zu. »Das ist der Mann, der den Wagen gesteuert hat – erinnerst du dich? Er war so ein prächtiger, guter Mann. Komm, mein Armer, ich bring’ dich zum Doktor …«
    Chung fuhr sie an, sie solle ihm nicht solche Leute bringen, denn wie konnte er an einen Körper zwei Beine machen? Hsieh-ying aber schrie zurück, daß sie ihm, auch wenn ihre eigene Mutter verflucht wäre, jeden Mann bringen würde, der sie mit lebenden Augen ansah, mochte seine Haut weiß oder schwarz sein, mochte er Beine haben oder nicht; einzig die Toten lasse sie liegen, und sollte sie diesen liegenlassen, den sie kannte? Aber der Mann starb, während sie sprach.
    Es war seltsam, daß sie an diesem entsetzlichen Tag, da der Feind keinen Augenblick abließ, sie vom Himmel und vom Urwald her zu beunruhigen, in all ihrer unsinnigen Müdigkeit Zeit fanden, miteinander zu streiten, jetzt Chung und Hsieh-ying, dann wieder zwei andere, welche die Arbeit zusammenführte. So sehr der Gegner seine Waffen über ihnen entlud, so sehr steigerte sich die Gereiztheit durch Furcht und Müdigkeit und Hitze und Hunger. Und schlimmer als alles war das erbarmungslose Licht der zornigen Sonne, die immer sengender niederbrannte, je mehr der Tag vorrückte.
    Aber solange sie rufen und einander beschimpfen und weinen konnten, fühlte sich Mayli ihrer Frauen sicher. Erst wenn sie ganz still wurden, hielt sie ein Auge auf sie, und zu den Stillen gehörten An-lan und Chi-ling. Beide hatten die ganze Zeit unablässig gearbeitet, und als am späten Mittag ein wenig Essen verteilt wurde, schüttelte Chi-ling ablehnend den Kopf.
    Mayli ging zu ihr. »Iß«, sagte sie zu Chi-ling. »Ich befehle es.«
    Chi-ling schüttelte abermals den Kopf. »Ich kann nicht«, entgegnete sie, »auch wenn du es befiehlst. Ich würde mich übergeben.«
    Darauf ließ Mayli sie allein, doch beobachtete sie die junge Witwe scharf, während jene mit An-lan zusammenarbeitete. Zwischen diesen beiden war eine Art Freundschaft entstanden, als ob sie in ihrer

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