Das Geloebnis
auf. Schon zuvor war die Luft heiß und unbewegt gewesen; jetzt aber schien die Sonne sie in Brand zu setzen, und was vorher Hitze gewesen, das dünkte der Erinnerung Kühle. Frischer Schweiß brach auf jedem Gesicht aus; doch der General zügelte seine Schritte nicht.
»Sie sind westlich von den nächsten Hügeln«, sagte Charlie schließlich mit leiser Stimme. Die Schüsse, die ringsum durch die heiße Luft krachten, klangen jetzt sehr nahe.
Der General nickte und schritt weiter. Aber der Soldat hinter ihm hatte die Worte aufgefangen und leitete sie rückwärts weiter; von Mund zu Mund gingen sie, und jedermanns Herz spannte sich in Hoffnung und Bangnis.
Dann führte der General sie einen Hügel hinauf, und dann begann der mähliche Abstieg. Die Kolonne bewegte sich hinter ihm den Hang hinab. Nicht weit vor sich gewahrte der General ein Auto, dann noch eins. Die Wagen hielten auf der Straße. Er hob seinen Feldstecher an die Augen, und da sah er weiße Männer, erstarrt vor Entsetzen, deren Gesichter durch die Linsen ungeheuerlich aufgeschwollen waren.
»Sie haben Angst«, sagte er äußerst überrascht zu Charlie. »Warum fürchten sie sich vor uns?«
Er händigte Charlie den Feldstecher aus, und Charlie blickte hindurch. Dann begann er zu lachen. »Zweifellos halten sie uns für Feinde«, erklärte er. »Die Gegner tragen grüne Uniformen – wenn sie Uniformen tragen. Wer außer Dummköpfen würde eine andere Farbe in diesem Land tragen?«
»Sie sollen nur schwitzen und sehen, wer wir sind«, bemerkte der General trocken. »Zum Glück haben wir die weiße Sonne auf blauem Grund an unseren Mützen. Wenn sie unsern Gesichtern nichts anmerken, sollen sie es daran merken.«
So marschierte er weiter, und wahrhaftig, wenig später, als sie näher kamen, veränderten sich die Gesichter der Weißen; was Entsetzen gewesen, das wurde nun Freude. Sie erhoben sich, winkten mit den Armen und schrien, und was sie schrien, das war, wie der General jetzt hören konnte, der chinesische Kriegsruf.
»Tschung kuo wan shui!«
Wer kann sagen, welche kleine Dinge den Geist des Menschen befreien? So aber waren es diese Weißen, die den hundertmal vernommenen Kriegsruf ausstießen, die den General vorwärts trieben, und er fühlte den Geist aus seinem Herzen kommen wie einen Vogel aus dem Käfig. Mit mächtiger Stimme rief er: »Tschung kuo wan shui!« Und alle seine Leute nahmen den Ruf auf und schrien ebenfalls, bis der Ruf zum Himmel selber aufstieg. Kein einziges Mal ließ der General seine Füße langsamer werden.
»Fragt sie, wo die Gegner sind«, befahl er Charlie, als sie zu den Wagen gelangten.
»Wo sind die Gegner?« erkundigte sich Charlie bei den Weißen in deren Sprache.
»Dort … dort!« brüllten die Weißen, mit der Hand in den Hintergrund deutend.
Jetzt bemerkten sie, daß diese Männer keine Soldaten waren, denn sie trugen keine Waffen. Es waren irgendwelche Zivilisten. »Die Gegner sind dort, und die Unsern kämpfen noch immer«, riefen sie.
Dies vernahm der General, und er hörte zu, während Charlie ihm die Worte übersetzte. Die ganze Zeit aber marschierte er weiter, hinter ihm die Kolonne, so gingen sie gen Westen.
Hinter ihm betrachtete Sheng im Vorbeikommen die Gesichter der Verbündeten. Nie zuvor hatte er einen Weißen so nahe gesehen. Was für Gesichter waren das – bärtig, hager, knochig, mit großen Nasen und eingesunkenen Augen. Weiß? Sie waren dunkel von Schmutz, und die Sonne hatte ihnen die Farbe eingebrannt, die seiner Mutter roter Tonteekanne eignete!
Weit hinter Sheng marschierte Mayli noch immer an der Spitze ihrer Frauen. Ihr Schritt hatte das Federnde verloren, ihr Haar war naß von Schweiß. Als sie aber die Männer in den Autos stehen sah und bemerkte, daß sie lächelten, winkte sie und rief ihnen zu: »Hallo, ihr dort!«
Sie wußte ganz genau, welche Wirkung der Gruß auf die fremden Männer ausüben würde. Ungepflegt und schmutzig, wie sie waren, mit zerrissenen Kleidern und bloßen Armen, lehnten sie sich vor und riefen vergnügt zurück: »Hallo, hallo, hallo! Meine Güte, ist das ein hübsches Mädchen!«
Sie konnte nicht anhalten, denn der General führte weiter, aber etwas Junges und Lachendes blühte in ihrem Herzen auf. Oh, was für schöne Stunden hatte sie in Amerika erlebt … dort hatte sie mit solchen jungen Männern getanzt und geplaudert und getändelt! Was für schöne Stunden konnten junge Menschen miteinander erleben, welchem Land sie auch
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